Die Mechanik des Sprechens

■ Horvaths „Sladek oder Die Schwarze Armee“ in Mannheim

In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht“, sagt Sladek, und es sprengt ihm fast das Gehirn, wenn er es sagt. Er hat schwer nachdenken müssen, bis er es zum ersten Mal sagen konnte, und dann sagt er es automatisch. Sladek, ein Woyzeck der Weimarer Republik, der in die Fänge der Nazis gerät, weil er hineingeraten will. Er lebt über seine Denkverhältnisse. „Sozusagen“ ist das Wort, das er am meisten gebraucht — als rebelliere sein Gehirn gegen die permanente Überforderung und entschärfe die schwergewichtigen Sätze, die sein angestrengtes Denken produziert. Er macht alles mit, was die im Untergrund operierende „Schwarze Armee“ von ihm verlangt. Sogar seine alternde Geliebte liefert er dem Fememord aus.

Als Ödön von Horvath Ende der zwanziger Jahre den Sladek schrieb, hatte er im bayerischen Murnau am Staffelsee — seine Eltern hatten sich am gleichen Ort niedergelassen, an dem Hitler nach seinem mißglückten Putsch vor der Feldherrenhalle Unterschlupf fand — Erfahrungen mit dem zunehmenden Naziterror gemacht. Er war Zeuge von Saalschlachten, sein Sladek beginnt mit einer. Pazifist Franz wird von einer Horde Hakenkreuzler aus dem Saal geprügelt, Sladek will danach mit ihm sprechen. Intelligente Menschen interessieren ihn, da er sich selbst für einen hält. Trotzdem wird er Handlanger der Schwarzen und hat später in deren Hauptquartier den geschundenen Pazifisten zu bewachen — wieder wird er seiner zu schwer gedachten Sätze nicht Herr: Darf der Einzelne als Teil des Ganzen morden? Ja. Denn ohne Mord gibt's kein Leben, sagt er in einem seiner überlangen Monologe.

Es sind Sätze, gleichzeitig tiefsinnig und lächerlich, wie sie nur Horvath-Figuren sagen können, aber es sind so viele, daß der Sladek fast in ihnen ersäuft. Horvaths früher Versuch hatte ein wichtiges Stück zur Folge, aber kein Meisterwerk, ein Nachdenken über die Hintergründe der Naziideologie, das vor allem über die Titelfigur ein Bild von der Dummheit des heraufziehenden Faschismus entwirft. Horvath bemerkte, daß er sich zu sehr dem Redefluß seines Sladek ergeben hatte, und strich einige seiner Monologe aus den Tagen der „Inflation und Wiedererstarkung“.

In Mannheim entschied man sich jedoch für die erste Fassung, fand sie „provokativer und lebendiger“ (Theaterzeitung). Viel Zeit braucht eine Inszenierung dieser Fassung, denkt man, richtet sich auf die obligaten viereinhalb Stunden ein, und ist völlig überrascht, wenn bereits nach zwei Stunden alles vorbei ist. Regisseur Karl Kneidl läßt seine Schauspieler durch den Text fliegen. Thomas Huber, Mannheims Sladek, spult seine Wortkaskaden herunter, ohne ihren Sinn herausarbeiten zu wollen. Die Absicht ist deutlich, überdeutlich: Sinnlos ist, was er sagt, Rechtfertigungsrhetorik. Er steht da, verkrampft, leicht nach vorne gebeugt und ist wie die ganze Inszenierung — ein Arrangement mit genau plazierten Figuren und Sätzen. Von Zeit zu Zeit bricht Horvaths „Stille“ in den monoton inszenierten Redefluß ein, und das ist in Mannheim, als würde das Radio immer wieder einmal kurz abgeschaltet. Man kann Karl Kneidl folgen und ihm bescheinigen, daß seine Rechnung aufgeht. Die Mechanik des Sprechens ist wie ein Ausdruck der tiefer liegenden Machtmechanismen zu Zeiten Hitlers Machtergreifung. Eine ominöse „maßgebende Stelle“ aus Berlin unterstützt die schwarze Untergrundarmee, solange sie ihren Zwecken dienlich ist. Die Horde ist zu diesem Zeitpunkt noch besinnungsloser Teil dieses übergeordneten Kalküls, Sladek ein Opfer seiner dumpfen Gedankengänge. Wie gesagt: Man kann dem folgen, sich damit zufrieden geben, ein rasantes Lehrstück gesehen zu haben — und auf lebendiges Schauspiel im Nationaltheater warten. Die Spielzeit hat erst angefangen, und die Chancen stehen nicht schlecht. Jürgen Berger

Ödön von Horvath: Sladek oder Die Schwarze Armee. Nationaltheater Mannheim. Regie und Bühne: Karl Kneidl. Mit Thomas Huber (Sladek), Helmfried von Lüttichau (Franz), Monika Kroll (Anna), Elmar Roloff (Hauptmann). Weitere Aufführungen: 14.,15. und 23.10.