Die richtige Budgetschlacht kommt erst noch

US-Präsident George Bush und der US-Kongreß einigten sich über die Haushaltsfinanzierung — bis zum 19. Oktober  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Es darf weiterregiert werden in Amerika. In den frühen Morgenstunden zwischen Montag und Dienstag hat der US-Senat einem vorläufigen Budgetkompromiß zugestimmt und ein vorübergehendes Haushaltsfinanzierungsgesetz verabschiedet, das anschließend von Präsident Bush unterzeichnet wurde. Damit ist die Budgetkrise erst einmal bis zum 19. Oktober verschoben worden, und Staatsangestellte, die in unbezahlten Zwangsurlaub geschickt worden wären, dürfen weiterschuften.

Der neue Kompromiß weicht allerdings nur in Details von dem Budgetvorschlag ab, der am Freitag von einer Mehrheit des Repräsentantenhauses abgelehnt worden war. Statt um 60 Milliarden Dollar soll das staatliche Gesundheitsprogramm Medicare jetzt nur um rund 40 Milliarden Dollar gekürzt werden, während die restlichen Einsparungen von 20 Milliarden vermutlich durch zusätzliche Steuererhöhungen eingebracht werden müssen. Am grundsätzlichen Ziel einer Kürzung des astronomischen Haushaltsdefizits um rund 40 Milliarden Dollar in diesem Haushaltsjahr und 500 Milliarden Dollar über die nächsten fünf Jahre hält jedoch auch der neue Etatvorschlag fest.

Der letzte Versuch, dem Staat das Sparen beizubringen, war am vergangenen Freitag nach fünfmonatigen Budgetverhandlungen spektakulär gescheitert. Nach einem in mehrwöchiger Klausur zwischen Vertretern der Bush-Administration und Führern des Kongresses ausgehandelten Kürzungskompromiß hatten aufständische Mitglieder des Repräsentantenhauses den Plan in letzter Minute zu Fall gebracht. Rechte Republikaner waren darüber empört, daß Präsident Bush Steuererhöhungen hinnahm, die er vor zwei Jahren in seinem Wahlkampf ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Liberale Demokraten weigerten sich dagegen, die Kürzungen des vor allem für Rentner wichtigen Medicare-Programms und zusätzliche regressive Steuererhöhungen hinzunehmen.

An dieser Fortschreibung der „Reagonomics“ wird auch der jetzt vorläufig vereinbarte Kompromiß nichts ändern. Denn sämtliche Streitpunkte sind nicht etwa gelöst, sondern nur den Haushaltsausschüssen des Kongresses zur Ausarbeitung zugewiesen worden. „Die richtige Schlacht“, so warnte der republikanische Senator Warren Rudman nach der letzten Nachtsitzung am Dienstag morgen, „liegt noch vor uns“.

Angesichts der grundsätzlichen Unwilligkeit von Regierung, Parlament und Bürgern, wirklich schmerzhafte Einsparungen oder Steuerhöhungen vorzunehmen, wird eine Lösung der Budgetkrise am Ende nur durch die teilweise Aufgabe von Sparzielen möglich sein. In der Verabschiedung von fiktiven Einsparungsgesetzen, die sich allein auf unrealistische Wirtschaftsprognosen und Buchhaltungstricks stützen, haben Administration und Kongreß jahrelange Erfahrung.

Schon Präsident Reagan hatte 1980 einen Totalabbau des Haushaltsdefizits bis 1985 versprochen: mit der wirtschafts- und fiskalpolitischen Wunderdroge seiner „supply side economics“. Ein Jahrzehnt lang wurde den Amerikanern vorgegaukelt, Bürger und Staat könnten sich trotz stetiger Steuersenkungen alles leisten, ohne jemals die Zeche dafür bezahlen zu müssen. Solange die Steuererleichterungen für die reichsten 20% der Bevölkerung auf Pump finanziert wurden, war dies dem kleinen Mann egal. Erst jetzt, wo er nach einem Jahrzehnt negativer Umverteilung plötzlich für die wirtschaftspolitischen Sünden der Reagan-Administration zur Kasse gebeten wird, scheint die Bevölkerungsmehrheit aufzuwachen.

Daraus größere Chancen der Demokraten bei den Kongreßwahlen am 6. November abzuleiten, wäre allerdings voreilig. Nach einer Umfrage der 'Washington Post‘ vom Montag macht die Mehrheit der Amerikaner den mehrheitlich demokratisch geführten Kongreß für die gegenwärtige Haushaltkrise verantwortlich — und nicht etwa George Bush. Statt mit Vorschlägen zu progressiven Steuererhöhungen war der US- Präsident mit einem Plan zur weiteren Senkung der Kapitalertragssteuer in die Budgetverhandlungen gezogen, die nur den obersten zwei Prozent der Bevölkerung zu gute käme. Obwohl diese Steuersenkung vorläufig dem jetzt erzielten Kompromiß geopfert wurde, ist dieser Vorschläg längst nicht vom Tisch. Die Republikaner versuchen die Kapitalertragssteuersenkung nun dadurch zu retten, indem sie den Demokraten eine gleichzeitige Erhöhung der Einkommensteuer für jene oberen zwei Prozent der Bevölkerung vorschlagen.

So wird denn in den nächsten elf Tagen weiter um die Reduzierung des auf knapp 300 Milliarden Dollar veranschlagten Haushaltsdefizits gefeilscht werden. Für die Abgeordneten wird es bei ihrem Abstimmungsverhalten allerdings nach wie vor mehr um die eigene politische Karriere als um das haushaltspolitische Wohl Amerikas gehen. Ein falsches „Ja“ in den kommenden Abstimmungen über Haushaltskürzungen oder Steuererhöhungen und die verbale Attacke im 30-Sekunden-TV- Wahlspot des politischen Gegners könnten tödlich sein.