In Bagdad bleiben nachts noch die Lichter an

Obwohl viele Bewohner der Vier-Millionen-Stadt mit einem Angriff und dem Krieg rechnen, bleiben sie nach außen hin gelassen und ruhig/ Dagegen fühlen sich die meisten Ausländer recht ungemütlich an diesem „fucking dangerous“ Ort  ■ Aus Bagdad Thomas Dreger

„Bunker 32“ macht einen vertrauenswürdigen Eindruck. Seine dicken Betonmauern sind in sympathischem Rosa gehalten, Pflanzen schlingen sich entlang der Wände. Oben auf dem Dach thront eine Fernsehantenne. „Bunker 32“ wurde 1985 gebaut, auf Anweisung des „Herrn, des Führers, des Vorsitzenden der Sozialistischen Arabischen Baath-Partei, des Präsidenten der Republik Irak Saddam Hussein“, so steht es auf einem Messingschild am Eingang. „Bunker 32“ hat noch einen anderen unschätzbaren Vorteil: Ich kann ihn von meiner Wohnung zu Fuß in fünf Minuten erreichen. Ich hoffe nur, daß dann auch jemand das Tor aufschließt, denn „Bunker 32“ ist von einem hohen Zaun umgeben, das Tor mit Schloß und Kette verriegelt.

Aber immerhin ist „Bunker 32“ wirklich ein Bunker. Folgt man dagegen im „Babylon“-Hotel den Pfeilen mit der Aufschrift „Shelter“, landet man im Nichts: Ein paar graue Kellergänge, zwei Meter unter der Erde, ohne Lüftung, ohne Wasser.

Es scheint an der Zeit, nervös zu werden in Bagdad. George Bush schloß offiziell eine „militärische Lösung des Golfkonflikts“ nicht aus. Und Saddam Hussein droht, im Falle eines Krieges würde die ganze Region, inklusive Israel, „von der Flut erfaßt“. Nervös sind in Bagdad vor allem ausländische Journalisten. Ein libanesischer Kameramann springt bei jedem Geräusch jeder zuschlagenden Tür ans Fenster, um zu sehen, wo die Bomben einschlagen. Gestern diskutierte ein amerikanisches Team stundenlang über Chancen, die Lebensversicherungen aufzustocken oder wenigstens eine Gefahrenzulage zu bekommen. Denn, so der Produzent, die Situation ist „fucking dangerous“. Und wenn Saddam Hussein Israel angreift, werden die da drüben auf ihre „fucking nuclear weapons“ setzen — „then we are fucked!“

Der US-Luftwaffengeneral Michael J. Dugan erklärte Mitte September der 'Washington Post‘, daß in diesem Falle Bagdad massiv zu bombardieren sei. Dugan mußte deswegen gehen. Seitdem wird gerätselt, ob er nur bluffte oder die Amerikaner ernsthaft planen, vier Millionen Menschen zu bombardieren.

Es gibt gute Gründe, sich Sorgen zu machen in Bagdad. Mein Begleiter vom irakischen Informationsministerium ist von einer nervenzermürbenden Gelassenheit: „Wir hoffen, daß es keinen Krieg gibt, aber wenn es ihn gibt, so sind wir bereit.“ — Auf eine nächtliche Bombardierung der Hauptstadt zum Beispiel? — Die Stadt ist nachts hell erleuchtet, in Hotels, Restaurants und Privatwohnungen brennt Licht. In den Raffinerien wird auch nachts Gas abgefackelt. Bagdad ist eine riesige Zielscheibe. Die Bevölkerung wirkt dennoch gelassen. Ein Taxifahrer reagiert auf meine Frage nach dem nächsten Bunker mit Lachen: „Keine Ahnung, wo der nächste ist. Ich brauche so etwas nicht. Als Iraner Bagdad mit Flugzeugen und Raketen angegriffen haben, bin ich mit meinem Taxi durch die Straßen gefahren und habe gearbeitet. Das werde ich auch tun, wenn die Amerikaner angreifen!“ — Er denke also, daß die Amerikaner angreifen? — „Nein, die Drohungen der Amerikaner sind leeres Gerede. Das ist alles Theater. In Wirklichkeit hat Bush vor Saddam Hussein Angst.“ — Aber die Amerikaner hätten doch eine viel modernere Armee als der Irak? — „Die irakische Armee ist stark. Wir haben alle Waffen, die die Amerikaner auch haben, und wir haben keine Angst.“ — Ob er denn keine Angst hätte, bei einem Bombenangriff zu sterben? — „Nein, ich bin Moslem. Der Islam sagt, niemand sterbe vor dem Zeitpunkt, den Allah für ihn bestimmt habe. Und wenn der Zeitpunkt da ist, dann sterbe ich, egal ob im Bunker oder auf der Straße. — Allah karim — Gott ist edel!“

Europäer sehen das anders. Der deutsche Ingenieur mit Gast-/Geiselstatus philosophiert nach dem vierten Bier an der Hotelbar: „Die Amerikaner werden auf jeden Fall den Präsidentenpalast ausbomben. Aber der hat dummerweise einen atombombensicheren Bunker. Den können sie nur mit speziellen Tiefenbomben knacken, die sich in die Erde bohren und dann explodieren. Aber das gibt dann ein Erdbeben, davon stürzt dann auch dieses Hotel hier ein.“

Die Inderin im „Men's Business Center“ des Hotels hofft, daß sie im November nach Hause fliegen kann, denn eigentlich wollte sie dann heiraten. „Bis dahin versuche ich zu arbeiten, als sei alles normal. Natürlich weiß ich, daß nichts normal ist, aber was hilft es, wenn ich den ganzen Tag Angst habe.“ — Was sie denn mache, wenn es plötzlich knallt? — „Dann gehe ich in die Kellerdisko des Hotels. Das ist der beste Platz hier. Dort gibt es Toiletten und auch Lebensmittel.“ — Aber die Diskothek ist nur ein normaler Keller, etwa einen Meter unter der Erde, und das Hotel steht direkt am Tigris. Am anderen Ufer liegt der Präsidentenpalast.

Ein irakischer Freund handelt mit Antiquitäten. Vor einem Monat hat er alle seine wertvollen Kristallgläser in stabilen Truhen verstaut und plante, mit seiner Familie in die Berge zu gehen. Er rechnete fest mit einem Angriff. Er ist immer noch in Bagdad, und die Kristallgläser stehen wieder in den Vitrinen. Ob er denn keine Angst mehr habe? — „Nein, ich bin nicht einmal mehr nervös. Es wird bestimmt keinen Krieg geben.“ — Woher er die Gewißheit nehme? — „Wenn ich Nachrichten höre, denke ich, es gibt jeden Moment Krieg. Dann kann ich nachts nicht schlafen. Aber wenn ich arbeite und keine Nachrichten höre, ist alles normal. Es wird keinen Krieg geben. — Allah karim!“