In der Jerusalemer Altstadt bleibt man lieber unter sich

■ Eine Aufhebung der ethnischen Segregation nach Stadtvierteln würde die sozialen und politischen Konflikte in der Stadt verschärfen

Dutzende Touristengruppen durchstreiften über Jahre täglich die Altstadt Jerusalems. Das war einmal. Seit Beginn der Intifada bleiben die Touristen aus. Auch die meisten jüdischen Einwohner Jerusalems verzichten auf den Besuch im moslemischen Teil der Altstadt. Die Angst vor Anschlägen hat das Leben innnerhalb der unter den Osmanen errichteten Stadtmauern verändert. Schwerbewaffnete israelische Patrouillen gehören heute eher zum Alltag in den unzähligen Gassen als amerikanische Urlauber. Die eigentlichen Bewohner der Altstadt haben sich jeweils in ihre Viertel zurückgezogen. Man bleibt lieber unter sich.

Das sind im wesentlichen vier Stadtviertel. Das kleinste im Südwesten ist das traditionelle Quartier der Armenier. Im Nordwesten befindet sich das Viertel der anderen christlichen Religionen, deren Vertreter — Katholiken, Protestanten, Griechisch-Orthodoxe, Kopten, Nestorianer etc. — sich seit Jahrhunderten um „ihr“ Gebiet an der Grabeskirche streiten. Das größte Quartier im Nordosten gehört den Moslems. Hier haben jüdische Extremisten — teils unter dem Schutz der Regierung — in letzter Zeit mehrfach versucht, Gebäude zu besetzen. Das jüdische Viertel selbst befindet sich im Südosten der Altstadt. Diese Topographie in Frage zu stellen würde soziale und politische Konflikte hervorrufen, deren Eruptionswellen weit über Jerusalem hinausreichten.

Tempelbezirk und Klagemauer, die Zentren zweier Weltreligionen, liegen zusammen im äußersten Südwesten der Stadt. Auf den Dächern der Gebäude neben der Klagemauer haben israelische Militärs Unterstände errichtet, von denen sie Tempelberg und den Platz vor der Mauer überwachen. Das Gebiet vor der Mauer war früher einmal dicht bebaut. Nach der Eroberung Ost-Jerusalems durch Israel 1967 sprengten die Israelis die Gebäude, um die Region besser kontrollieren zu können. Das dahinterliegende jüdische Viertel war bis 1967 auch von vielen Moslems und Christen bewohnt. Sie wurden verdrängt, neue Häuser im traditionellen Stil erbaut. Hier siedelten sich meist orthodoxe Juden an.

Bis zum letzten Montag waren gewalttätige Auseinandersetzungen in der Altstadt trotz Intifada eher die Ausnahme. Jerusalems jüdisch dominierte Stadtverwaltung und Bürgermeister Teddy Kollek haben immer den Schutz und den freien Zugang zu den religiösen Stätten aller drei Religionen — Islam, Judentum und Christentum — als politisches Prinzip betont. Zeiten wie 1948-67, als Jerusalem zwischen Israel und Jordanien geteilt und die Altstadt und damit die Klagemauer für Juden nicht erreichbar waren, solle es nie wieder geben. Und bis letzten Montag funktionierte dieser Status quo. Jetzt hat der Streit um religiöse Gebietsansprüche die Klagemauer erreicht... Klaus Hillenbrand