Jahrtausendealter Zwist um Tempelberg

■ Für alle drei Weltreligionen in Jerusalem hat der Tempelberg eine immense Bedeutung

„Der Tempelberg ist unser.“ Dies konnte der Oberbefehlshaber der israelischen Truppen, die im Zuge des Sechstagekriegs das damals jordanische Ost-Jerusalem eroberten, am 7. Juni 1967 vermelden. Verteidigungsminister Dayan meinte sichtlich überwältigt: „Wir sind zu all dem zurückgekehrt, was heilig ist in unserem Land. Wir sind gekommen, um uns nie wieder davon zu trennen.“ Und Begin, damals Minister ohne Geschäftsbereich, ergänzte: „Ich hoffe, der Tempel der Juden möge schnell, in unseren Tagen, auf dem Tempelberg von Jerusalem wiederaufgebaut werden.“ Längst jedoch — genau seit dem Jahre 691 n.Chr. — ist der Tempelberg besetzt, wölbt sich dort der achteckige Kuppelbau des Felsendoms, die „Qubbat as-Sakhra“. Er ist das älteste erhaltene Denkmal großer islamischer Architektur. Wenig später, im frühen achten Jahrhundert, wurde am Südrand des Tempelbergs die Al- Aksa-Moschee errichtet.

Der allen drei monotheistischen Weltreligionen heilige Berg liegt im Südostteil der von Israel annektierten Altstadt Jerusalems. Auf der höchsten Stelle des Tempelberges, von den Juden einst Berg Moria genannt, erstreckt sich eine viereckige Felsplatte. Der frommen Legende nach markiert sie die Stelle, an der der biblische Patriarch Abraham, den auch die Araber als ihren Stammvater betrachten, seinen Sohn zur Ehre Gottes opfern wollte.

Während nach der jüdischen Überlieferung der Fels das Fundament des Brandopferaltars im Inneren des um etwa 1000 v.Chr. errichteten Salomonischen Tempels bildet, ist für die Moslems die Steinplatte der Ausgangspunkt von Mohammeds Himmelsreise, wie sie in der 17. Sure des Koran erwähnt wird. Der islamische Schriftsteller Al-Muqaddesi merkt zur religionspolitischen Rolle Jerusalems an: „Zwar haben Mekka und Medina ihre Bedeutung. Die eine Stadt durch die Kaaba, die andere durch den Propheten Mohammed.

Und trotzdem werden Mekka und Medina am Tag des Jüngsten Gerichts nach Jerusalem zum Felsendom kommen, und der Glanz von allen wird vereinigt sein.“ Noch der arabische Name Jerusalems spiegelt die besondere Bedeutung der Stadt für den Islam wider. Aus Iliya, dem antiken Aelia Hadriana, wurde „Al- Quds“, die Heilige. Für das Christentum ist der Tempelberg, im Vergleich zu anderen heiligen Stätten Jerusalems, weniger bedeutend. Es ist auf dem Tempelberg nur mit der Ruine der ersten Jerusalemer Kreuzfahrerkirche vertreten.

Seit der Zerstörung des Salomonischen Tempels durch Nebukadnedzar im Jahre 587 v.Chr. und der Verschleppung der jüdischen Oberschicht ins babylonische Exil träumten die Juden von seinem Wiederaufbau. Unter der Herrschaft Kyros des Großen von Persien wurde der Tempel 516 v.Chr. schließlich wiedererrichtet. Herodes ließ den eher bescheidenen Neubau 20 v.Chr. erweitern. Doch schon 70 n.Chr. wurde er von Titus endgültig zerstört. Lediglich ein Teil der Westmauer des zweiten Tempelbaues blieb erhalten: die Klagemauer. An ihr möchte jeder gläubige Jude wenigstens einmal in seinem Leben beten. Nach der Zerstörung des Tempels durften Juden den Tempelberg beinahe 2.000 Jahre lang nicht mehr betreten. Und auch der Zugang zur Klagemauer war jüdischen Gläubigen zwischen 1948 und 1967 praktisch nicht möglich.

Als die Israelis 1967 Ost-Jerusalem eroberten, dann annektierten und später zur „ewigen Hauptstadt Israels“ erklärten, verpflichteten sie sich, alle Religionen an den heiligen Stätten frei wirken zu lassen. Den Moslems überließen sie die Verwaltung ihrer heiligen Stätten. Doch schon bald nach der israelischen Besetzung meldeten sich extremistische jüdische Gruppierungen wie die „Gläubigen des Tempelbergs“ zu Wort, die den unverzüglichen Abriß der Tempelberg-Moscheen fordern und an deren Stelle den „Dritten Tempel“ errichten wollten.

Um Anschläge zu verhindern, wird der Tempelberg seitdem von Israelis und Arabern scharf bewacht. Trotz dieser äußerst scharfen Sicherheitsvorkehrungen wurde der Tempelberg wieder und wieder Ziel von Anschlägen. So wurde zum Beispiel 1969 von israelischen Fanatikern ein Brandanschlag auf den Felsendom verübt.

Und am Ostersonntag 1982 richtete ein Israeli amerikanischer Herkunft mit einem M-16-Sturmgewehr am Felsendom ein Massaker unter betenden Moslems an. Auch die Zusammenstöße und das anschließende Blutbad vom Montag wurde nach übereinstimmenden Zeugenaussagen durch Mitglieder der „Gläubigen vom Tempelberg“ ausgelöst, die den Grundstein des „Dritten Tempels“ legen wollten. Walter Saller