Stasi las auch die „Kanzlerlage“

■ Regierungsdirektorin Gabriele G. arbeitete seit 1973 für das MfS/ Über ihren Tisch gingen die BND-Berichte an Kohl

Berlin (taz) — Kanzleramtsspion Günter Guillaume ist im Vergleich zu ihr ein Waisenknabe: Gabriele G., 47 Jahre alt und Regierungsdirektorin im Bundesnachrichtendienst (BND), war wohl die beste „Quelle“, die die SED-Führung mit geheimen und vertraulichen Interna aus der Bundesrepublik versorgte. Immer dann, wenn Kanzler Kohl seinen BND zur Einschätzung der Weltlage bemühte, lauschte die Stasi mit. Der Auslandsspionagedienst der Stasi, die „Hauptverwaltung Aufklärung“, hatte Gabriel G. in die für das Ausland (und damit auch für die DDR) zuständige Auswertungsabteilung des BND bestens plaziert. Sie hatte Zugang zu sämtlichen Verschlußsachen. Auch die wöchentlichen „Kanzlerlagen“, mit denen der Pullacher Geheimdienst seinen Dienstherren über die neuesten Auslandserkenntnisse unterichtete, wanderten über ihren Tisch. Das Hamburger Magazin 'Stern‘ brachte es gestern ans Licht. Auch die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe spricht von einem schweren Verratsfall. Das eingeleitete Ermittlungsverfahren lautet „Landesverrat in besonders schwerem Fall“. Höchststrafe: lebenslänglich. Helmut Kohl hat sich in der Vergangenheit des öfteren über den BND geärgert. Die gar so wichtigen Erkenntnisse flossen nur spärlich, und häufig war man deswegen auf die Tips von befreundeten Diensten angewiesen war. Noch mehr ärgern dürfte den Kanzler aber, daß das wenige, was ihm zugetragen am Ende noch vor ihm von Stasi-Chef Erich Mielke und dem HVA- Gründer Markus Wolf gelesen wurde.

Die promovierte Politologin wurde bereits 1968 für den Staatssicherheitsdienst angeworben, als sie anläßlich ihrer Doktorarbeit in die DDR reiste. Bei ihrer Bewerbung für den BND 1973 passierte sie die Sicherheitsüberprüfungen mühelos. Anschließend machte sie im Geheimdienst Karriere. Mit der ist es vorbei, seit ein Überläufer sie enttarnte. Die Festnahmen erfolgte am 30. September.