Die Liebe zur Musik der Judenhasser

■ Mit Nathan Shacham: Lesung seines Romans „Rosendorf Quartett“ im Israelitischen Gemeindehaus

Wenn er mit einer Position überhaupt nicht übereinstimme, lasse er sie in seinen Romanen besonders intelligent, besonders überzeugend vertreten, sagt er nach der Lesung. Seine besten Ideen aber, „my best ideas are given to the fools.“ Als Grund zitiert er Brecht: „Du sollst Deine Zuhörer nicht bestechen.“ Und Nathan Shahan hält sich daran. Nein, antwortet der 65jährige Israeli, dessen Buch „Rosendorf-Quartett“ — in Israel ein Bestseller — in diesem Jahr in amerikanisch und deutsch erscheint und auf der Buchmesse vorgestellt wurde, für die deutschen Leser habe er bestimmt nicht geschrieben. Schon deshalb nicht, weil er nie geglaubt hätte, daß sich ein Verleger für so etwas Altmodisches finden würde. Aber jetzt freut er sich besonders über die deutsche Übersetzung, weil es hier so viele junge Leute gebe, die nicht in der Geschichte leben wollten.

Und das ist das Thema des Rosendorf-Quartetts, deutsche Juden, die im Jahre 1936 „nicht in der Geschichte leben“ wollen, die aus Not und Verfolgung nach Eretz Israel kommen, aber eigentlich nicht in dieses „Land mit wenig Kultur und sehr viel Politik“ wollen, wie es Kurt Rosendorf, Erste Violine, in dem Roman ausdrückt. „Es wird seltsam sein, Mozart in der Wüste zu spielen.“

In dieser „Wüste“, bzw. dem, was die jüdischen Einwanderer ihr abgekämpft hatten, lebte damals schon Nathan Shaham, der 1925 als Sohn einer polnisch-russischer Musiker-Eltern geboren wurde. 1936, als Kurt Rosendorf widerwillig einreiste, wußte der 11-jährige abends in Tel Aviv nie, ob der seit drei Jahren brandende arabisch-jüdische Bürgerkrieg ihn morgens im Bett oder auf dem Fußboden oder überhaupt nicht aufwachen lassen würde. Aber das hat er nur auf Befragen und nebenbei erzählt.

Nathan Shacham ist heute ausser Romancier noch Kibbuzznik in Beth Alpha, Leiter des Sifriat Verlages in Tel Aviv und Violaspieler in drei verschiedenen Quartetten. Er, Sohn einer frühen zionbegeisterten „Aliyah“, hatte ein außerordentlich ironisches Verhältnis zu diesen deutschen Juden, die es nie zu einem verständlichen Hebräisch bringen, der Sprache, die Shacham, außer Englisch, spricht und in der er auch im Israelitischen Gemeindehaus vorlas, bevor der Schauspieler Hans Kemner ein schön ausführliches Stück Romananfang auf deutsch las. Shacham bedanktesich für den musikalischen Rhythmus des Vortrags.

Shacham beschreibt die Skala der Reaktionen und der Briefe auf Rosendorf Quartett in negativer Steigerung: Kinder deutscher Einwanderer schreiben ihm, sie verstünden nun endlich ihre Väter, Musiker schrieben ihm, nur sie verstünden wahrhaft die Musik in seinem Buch, feministische Musikerinnen — schon schlimmer - verstehen als einzige die erotischen-musikalischen Anspielungen. Am schlimmsten aber die deutschen Juden: die verstehen das Buch besser als der Autor, bis hin zu denen, die ihre Briefe in Deutsch abfassen, weil sie dem Auktor nicht glauben, daß er kein Deutsch versteht.

Shacham erzählt die Geschichte der „zeitlosen“ Einwanderer im Kontrast zur Dynamik dieser Jahre in Palästina. Er tut es durch die vier Stimmen der Quartettspieler in einer unverwechselbaren eigenen: essayistisch, getaucht in Distanz, mit Salzkörnern jüdischen Witzes, gut in unauffälligen Ironien, oft plakativ, wenn sie Frauen schildert. Sie benutzt die Musik als Analogie und Rhythmus. Und Musik, das ist deutsche Musik. Denn der zwölfjährige Nathan, der zuhaus nur russische und hebräisch-liturgische Musik kannte, verfällt erst Brahms, später Bach. Wie man die Musik eines Landes so lieben kann, in dem die Juden so gehaßt worden sind, diese Frage ist, in aller Ironie, auch die von Nathan Shacham. Uta Stolle

Nathan Shacham, Rosendorf Quartett. Dvorah Verlag Ffm., 44 DM.