■ NOCH 3369 TAGE BIS ZUM JAHR 2000
: Näher zu Gott

Daß der wegweisende Stern nicht mehr über einem Viehstall in Bethlehem steht, sondern fest verankert ist auf einem klotzigen Konzern in Stuttgart-Untertürkheim, hat jetzt auch die evangelische Kirche akzeptiert. Damit wird nun endlich „die erschreckend große Kluft zwischen Wirtschaft und Kirche“ verringert. Das verspricht zumindest Martin Dolde, Mitglied der evangelischen Landessynode in Württemberg und Leiter der Produktionssteuerung im Fahrzeugwerk von Mercedes. Die Botschaft des Zimmermanns Jesus Christus soll im Industriezeitalter endlich mit mehr Realitätsnähe ausgestattet werden, dazu wird der Gigant Mercedes Benz im kommenden Jahr vier Pfarrvikarinnen und -vikare in ein befristet Arbeitsverhältnis aufnehmen. Dann können junge Theologen knapp die Hälfte ihrer vierjährigen Ausbildung zwischen dem zweiten theologischen Examen und der Übernahme eines eigenen Pfarramts im Hause des großen Sterns absolvieren. Das Unternehmen übernimmt die Gehälter der in der Personalabteilung und in der Produktion eingesetzten Geistlichen.

Eher nostalgisch ging es dagegen letzten Sonntag in der New Yorker Cathedrale Saint John the Divine zu. Am Tag des Schutzpatrons der Tiere, des Heiligen Franz von Assisi, verwandelte sich die Kirche in ein Nachfolgemodell der Arche Noah. Vom Elefanten bis zum Pantoffeltierchen war fast alles vertreten, um sich von Bischof Richard Grein einen Segen zu holen. Nach einer zweistündigen Predigt, in der der Bischof häufig vom Gekreisch der Kirchenbesucher unterbrochen wurde, defilierte das Viehzeug für die Segnung zum Altar. Manch ein Tier war gar nicht zu erkennen. Die Besitzer kamen mit kleinen Glasröhrchen zum Bischof, der alle und alles segnete. Selbst ein berittener Polizist schleppte seinen Gaul zum Altar und bestand auf den Segen des Kirchenfürsten.

Näher zu Gott wollte anscheinend auch eine französische Musiklehrerin, die sich splitternackt in 2.000 Meter Höhe im Mont-Blanc-Massiv der transzendentalen Meditation hingab. Die Leiche der Frau wurde Sonntag auf dem Besson-Gletscher gefunden. Die Bergwacht hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach beobachtet, wie die Frau hüllenlos in den Bergen spazierenging und trotz Regen und Kälte stundenlang meditierte. Im September war sie wegen Unterkühlung ins Krankenhaus eingeliefert worden, was sie jedoch offenbar nicht davon abhalten konnte, ihre Meditationen auf der Suche nach „schöpferischer Intelligenz“ wieder aufzunehmen. Karl Wegmann