piwik no script img

Künstlerkolonie den Strom abgedreht

■ Aufregung in der Feldstraße / Vertreter des Eigentümers: "Es wird sowieso abgerissen"

Henning Klein traute seinen Augen kaum, als er gestern morgen vom Brötchenholen nach Hause kam: Das Licht ließ sich nicht mehr anknipsen, die Kaffeemaschine funktionierte nicht und das vertraute Summen des Kühlschranks fehlte — offensichtlich Stromausfall. Doch als Henning Klein im Keller der Sache auf den Grund gehen wollte, stellte er überrascht fest: Die Zähler waren komplett abmontiert. Robert van de Laar, Nachbar und Künstler aus dem Atelier im Hinterhaus, stand zur selben Zeit überraschend im Dunkeln. Damit war den BewohnerInnen der abrißgefährdeten Künstlerkolonie in der Feldstraße 13-17 klar: Ihr Vermieter wird ungeduldig, es scheint etwas im Busch. Denn auch beim Abriß der Arbeiterwohnungen der denkmalgeschützten Silberwarenfabrik Koch & Bergfeld im Kirchweg war das Anrücken der Stadtwerke vor wenigen Wochen erstes Indiz für den zwei Tage später anrückenden Abrißbagger.

Robert van de Laar erwischte die Monteure der Stadtwerke gerade noch rechtzeitig, um Licht in das Debakel zu bringen: Der Hausbesitzer, die Hanseatische Kapitalvermittlungs-GmbH (HKV), hatte die Stadtwerke beauftragt, das angeblich leerstehende Haus Feldstr Nr. 15 zum 11.10. von der Städtischen Strom-und Wasserversorgung abzuklemmen. Den Stadtwerken hatte der Besitzer wiederholt versichert: „Dort wohnt niemand mehr.“ Daß aus dem Haus bisher lediglich sein früherer Besitzer ausgezogen ist und daß Henning Klein, dessen Kündigung bisher nicht rechtswirksam ist, hier noch lebt, verschwieg der Eigentümer geflissentlich. Er teilte den Stadtwerken auch nicht mit, daß Atelier und Wohnungen im Hinterhaus an diesen Stromkreis angeschlossen sind. Als sie dies von den aufgebrachten Mietern gestern früh erfuhren, installierten die Stadtwerke — zur Versorgung verpflichtet — zwei Stunden nach dem Abbau kurzerhand neue Stromzähler in dem Haus.

Inkognito hatte sich dem Stadtwerke-Montagetrupp während des zuvorigen Abbaus ein HKV- Vertreter angeschlossen. Erst nach heftigen Diskussionen mit den Mietern gab er sich zu erkennen und verkündete barsch: „Was wollen Sie denn, es wird doch sowieso abgerissen!“ Bestätigen wollte dies seine Firma jedoch nicht. Jener Herr Albrecht mit schwarz blitzendem Mercedes neuesten Modells sei „lediglich der Hausmeister, der mit der Feldstraße aber gar nichts zu tun habe“, beteuerte die Sekretärin. Deren Chef Volker Boelsen, alleiniger Gesellschafter der HKV und Kopf eines Mini-Imperiums der Bremer Immobilien-Branche, läßt sich vor Presse wie Mietern permanent verleugnen. „Wann immer es irgendetwas Neues gibt, schickt Boelsen Mittelsmänner und distanziert sich anschließend von deren Aussagen“, erzählt eine Mieterin der Künstlerkolonie.

Dort hatte Boelsen bisher nur verbreiten lassen, daß für die Vorderhäuser Abrißanträge gestellt worden seien und die Bremer Architektin Barabara Cunis ein Appartementhaus mit Tiefgarage für Mini-Luxus-Wohnungen geplant hat. In einem nächsten Schritt sollen dann die Ateliers im bisher idyllischen Hinterhof „luxussaniert“ werden.

All dies ist politisch jedoch nicht gewollt: Beirat, Baudeputation und Baubehörde wollen die kleine Künstlerkolonie, die sich in den letzten Jahren dort entwickelt hat, partout erhalten. Sie haben im April eigens eine Erhaltungssatzung für das Gebiet zwischen Humboldt- und Bismarckstraße, Am Dobben, Dobbenweg und Fesenfeld beschlossen. Und weil die Bürgerschaft dies erst noch bestätigen muß, sind Bau- und Abrißanträge für ein Jahr zurückgestellt. Solange darf hier nichts passieren.

Alarmiert von der unerwarteten Aktion schickte das Bauordnungsamt gestern gleich seine Mitarbeiter auf Recherche aus. Auch Baudeputationssprecher Karl-Heinz Schreiber (SPD) und die Grüne Stadtbildschützerin Irmgard Jahnke forderten davon aufgerüttelt: „Wir wollen das Ensemble unbedingt erhalten. Ein Abriß muß verhindert werden.“ Birgitt Rambalski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen