Datenschutz mit Sand und Schaufelbagger

■ Im Berliner Ostteil liegt Ministeriumskorrespondenz auf der Straße/ Einer der Adressaten ist der »werte Genosse Dr. Schalck«/ Kein Interesse für altes Gerät der NVA/ Westdeutsche und dänische Firma suchen Joint-venture-Kontakte — erfolglos

Mitte. Wer durch den Ostteil der Stadt spazierengeht, kann interessante Einblicke in die Interna der ehemals sozialistischen Plan- und Ministerialbürokratie gewinnen. Zum Beispiel vor einem Gebäude des Ex-DDR-Ministeriums für Verkehr in der Reinhold-Huhn-Straße nahe am Ex-Checkpoint Charlie. Dort stapelten sich in den letzten Tagen alte Aktenordner, bündelweise Schriftgut und Bücher sowie durchgesessene Stühle. Alles landete dann auf einem offenen LKW; ein Bagger schließlich lud Sand auf die Ministeriumsfuhre.

Trotz dieser bombensicheren Maßnahme bildeten sich auf der Straße Aktenteppiche, die von Passanten aufmerksam studiert wurden. Zwar waren da keine großen Staatsgeheimnisse oder Palastintrigen dokumentiert. Doch kann man aus den Kopien der Schriftwechsel, den Plantabellen, Statistiken, »Pendelbögen«, »VD-Nachweiskarten« und Sitzungsprotokollen entnehmen, über welche Rubel-, DM- und Lira- Bestände zum Beispiel die Spedition »Ostseetrans« Rostock verfügte oder daß dem Bezirk Halle 1987 500 Neureifen der Dimension 11.00-20. mit »sozialistischem Gruß« zugesandt wurden. Schmuckstück einer zufälligen Rinnstein-Aktenauslese ist eine Kopie eines Schreibens an den »werten Genossen Dr. Schalck«, bekannterweise im ehemaligen Außenhandelsministerium Vorsteher der Abteilung »Kommerzielle Koordinierung« (KoKo) und derzeit im süddeutschen Raum ansässig. Es geht um Banales: Für DDR-Duty-free- shops braucht es Währungsumrechnungskassen, und zwar aus dem Import, da sie »durch Inlandsproduktion bzw. SW-Import nicht bereitzustellen sind«.

Auch Vorgänge aus der De-Maizière-Ära finden sich auf der Straße wieder. Westliche Unternehmer suchen hier Kontakte zum neuen Osten: Der Gießener Spediteur Erhard Kreiling zum Beispiel möchte vom Verkehrsminister die Adressen aller DDR-Schwertransportunternehmen erfahren ebenso wie die Anschriften aller Bezirksbehörden der Volkspolizei. Dem dänischen Transportunternehmen Hammerbro A/S-Bechtrans wird auf seine Anfrage nach Ostgeschäften ein Joint-venture mit einem DDR-Partner nahegelegt, der zur Not auch »vermittelt werden kann«. Rechtsschutz ist garantiert, »auf der Grundlage der Verfassung der DDR«.

Wie der Korrespondenz des Verkehrsministeriums mit dem Eppelmannschen Abrüstungsministerium zu entnehmen ist, blieb es den ehemaligen DDR-Bürgern erspart, in Militärbussen zur Arbeit zu fahren. Ein Dr. Thiemann läßt Generalmajor Freitag am 17. Mai 1990 wissen, daß es »trotz intensivster Bemühungen meiner zuständigen Mitarbeiter« nicht gelungen ist, Interessenten für die »Ikarus«-Fahrzeuge zu finden, die in Strausberg nicht mehr gebraucht wurden. chb