Betriebe der Ex-DDR führen keine Beiträge ab

■ Anhörung im Bundestag: Die Tiefe der Milliardenlöcher bei der Sozialversicherung ist weitgehend konjunkturabhängig

Berlin (taz) — Niemand weiß, wie lange sich die wirtschaftliche Talfahrt in der ehemaligen DDR sich noch fortsetzen wird. Dementsprechend schwanken die Schätzungen für die sozialen Kosten der Einheit fürs nächste Jahr zwischen 30 und 50 Milliarden DM. Nicht nur die Arbeitslosigkeit treibt die Kosten hoch, sondern auch das noch nicht funktionierende Einzugssystem für die Sozialversicherungsbeiträge. Dies ist das Ergebnis eines Bundestagshearings des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung in Bonn.

Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke (CDU), gehört — relativ — zu den Optimisten. Eine Vorausschätzung für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und ihrer Kosten in den Ländern der ehemaligen DDR lehnte er zwar ab, aber er schließt sich Prognosen an, wonach die wirtschaftliche Talfahrt Mitte 1991 beendet wäre. Für die zu erwartende Deckungslücke der Arbeitslosenversicherung in Ost- Deutschland nennt er eine auf Grund fehlender Eckdaten keine präzise Zahl, sondern eine Spannweite zwischen 15 und 30 Milliarden DM. Der DGB-Arbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy dagegen geht von einem Minus in der Arbeitslosenversicherung eher „in Richtung 30 als in Richtung 20 Milliarden DM“ aus. Auch Bundesbankdirektor Klaus Guderjahn hält Defizite von über 20 Milliarden DM für möglich.

Während die Arbeitgeber davon ausgehen, daß Mitte nächsten Jahres die Wende zum Besseren einsetzt, bleiben die Gewerkschaften skeptisch. Die stellvertretende DGB- Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, die frühere Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit, geht eher davon aus, daß im nächsten Jahr eine neue Welle der Arbeitslosigkeit über die Länder der ehemaligen DDR hereinbrechen wird.

Auch in der Krankenversicherung Ost-Deutschlands werden für das nächste Jahr Milliardendefizite erwartet. Zwar gibt es eine Vereinbarung über eine Kostenbegrenzung für Arzneimittel und Arzthonarare, aber dennoch sieht der Geschäftsfühter des AOK-Bundesverbands, Franz-Josef Oldiges „recht hohe Risiken“. Die Spekulationen über eine Deckungslücke von 10 Milliarden DM im Jahr 1991 mochte er nicht bestätigen. Aber mit der Umstellung auf das System der gesetzlichen Krankenversicherung werden, so der Geschäftsführer des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen, Eckard Fiedler, neue Probleme beim Beitragseinzug erwartet.

Obwohl die Rentenversicherungen für das ehemalige DDR-Gebiet in diesem Jahr mit einer Deckungslücke von 5,5 Milliarden DM rechnen, bleiben die Risiken in diesem Zweig der Sozialversicherung in Grenzen. Konkrete Prognosen für 1991 mochte niemand abgeben. Der größte Unsicherheitsfaktor ist offensichtlich auch hier der Beitragseinzug. Viele Betriebe halten die fälligen Abgaben ganz oder teilweise zurück. Während von den Versicherungsträgern zur Finanzierung der Milliardenlöcher auch Beiträgserhöhungen ins Spiel gebracht werden, werden zusätzliche Belastungen von den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden strikt abgelehnt. marke