Ratlose Artisten in der Zirkuskuppel

■ Nach den Schüssen auf dem Tempelberg ist der politische Spielraum der USA minimal KOMMENTARE

There is no exit except victory“, meinte Henry Kissinger jüngst auf Fragen nach möglichen Entwicklungen am Golf. Gemeint war selbstverständlich ein amerikanischer Sieg. „Wenn wir scheitern“, fügte er mit einem Stirnrunzeln hinzu, „so wird dies das Ende aller moderaten arabischen Regierungen sein. Erst wird es einen arabischen Bürgerkrieg geben, und dann wird ein israelisch- arabischer Krieg ausbrechen.“ Für Kissinger ist der US-Truppenaufmarsch am Golf die Vorbereitung für „Armageddon“, für die „letzte und endgültige Entscheidungsschlacht“ um die Absicherung des amerikanischen Einflusses in der Nahost- Region.

Mit dieser Ansicht steht der Altdiplomat nicht alleine. Weitgehende Übereinstimmung herrscht auch darüber, daß ohne die arabischen Partner sogar ein militärischer US-Sieg am Golf eine schwere politische Niederlage bedeuten würde. Die gestern erneut unterbrochene UNO-Sicherheitsrat-Debatte über die Art der Verurteilung Israels wegen des „polizeilichen Overkills“ am Jerusalemer Tempelberg ist ein klares Indiz dafür. Washington ist ob seiner jahrzehntelangen, bedingungslosen Parteinahme für den jüdischen Staat in arge Bedrängnis bei den neuen arabischen Waffenbrüdern geraten. Kein Wunder, daß sich die US-Delegierten bei der UNO wie ratlose Artisten in der Zirkuskuppel verhalten: Sie zögern und zaudern vor dem nächsten Schritt. In der Tat müssen die strapazierten US-Gesandten neuerdings jedes Wort auf die diplomatische Goldwaage legen, wollen sie einen politischen Genickbruch vermeiden. Sie wissen genau, daß durch die blutigen Ereignisse in Ost-Jerusalem auch all jene arabischen Staaten in eine politische Einheitsfront mit Bagdad geraten sind, deren Soldaten sich zusammen mit den Amerikanern in den saudischen Sand gegraben haben. Selbst der moderate Mubarak ließ eigens das ägyptische Fernsehprogramm unterbrechen, um Schamir eindringlich zu verwarnen.

Einerseits, so der heikle Auftrag der amerikanischen UNO-Diplomaten, sollen sie die ungeliebte, rechtskonservative Schamir-Regierung in die politische Verantwortung für das Massaker nehmen und verurteilen — freilich ohne dabei den engen Verbündeten Israel und die pro-israelische Lobby zu Hause zu verprellen. Andererseits müssen sie den arabischen Bundesgenossen ein unmißverständliches Signal geben, daß die USA nun endlich bereit sind, ernsthaft der schrankenlosen Verhätschelung ihres nahöstlichen Erstgeborenen Israel ein Ende zu setzen. Denn bisher scheiterten alle UN-Resolutionsentwürfe gegen Israel am starrsinnigen Veto der Vereinigten Staaten.

Nichts scheuen die USA gegenwärtig mehr als eine „Israelisierung“ des Golfkonflikts. Zu tief sitzt die Angst vor einer Abkehr der arabischen Partner, die sich eine Verwicklung in eine „amerikanisch-zionistische Verschwörung“ weder leisten können noch mögen. Die Vereinigten Staaten haben aber nicht nur die politisch allseitig „richtige“ UNO-Entscheidung zu treffen. Sie müssen sich dabei auch beeilen. Denn für alle arabischen Partner gilt, daß sie das Rennen um die politischen Sympathien im eigenen Land nicht auf dem lahmen Gaul amerikanischer Unentschlossenheit gewinnen können. Walter Saller