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Nationalistin zur Terroristin hochstilisiert

Ohne konkrete Beweise fordert Staatsanwalt 30 Jahre Knast für katalanische Nationalistin und Gegnerin der 500-Jahr-Feier  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Am 9. September 1988 kam Nuria Cadenas in den Knast. Damals war sie gerade 18. Am vergangenen Dienstag, nachdem sie zwei Jahre lang in Untersuchungshaft die verschiedensten Knäste Spaniens kennengelernt hat, wurde sie vor Gericht gestellt. Nuria Cadenas, so die Anklage, ist Mitglied der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung „Terra Lliure“, die den bewaffneten Kampf betreibt. Gemeinsam mit drei weiteren Genossen, die nun mit ihr auf der Anklagebank sitzen, soll sie am Tag ihrer Festnahme versucht haben, einen Sprengsatz in der Nähe einer Residenz für Militärs in Barcelona zu zünden. Bei Hausdurchsuchungen in den Wohnungen der vier Angeklagten will die Polizei Anleitungen zum Sprengstoffbasteln, Adressenlisten von Polizeikommissariaten, Ratschläge für Sicherheitsmaßnahmen bei Verhaftungen sowie Sprengkörper gefunden haben. Doch über konkrete Beweise für die Verwicklung der Angeklagten in Anschläge von Terra Lliure verfügt die Polizei nicht.

Zwei der Angeklagten bekennen, Mitglieder von Terra Lliure zu sein und im bewaffneten Kampf das einzige Mittel zur Befreiung ihres „in Ketten gehaltenen Vaterlands“ zu sehen. Die anderen beiden, darunter Nuria Cadenas, bestreiten, jemals Terra Lliure angehört zu haben. Nuria ist Mitgründerin einer nationalistischen linken Jugendgruppe namens „Maulets“, die sich unter anderem gegen die Olympiade 92 in Barcelona wie auch gegen die 500-Jahr- Feier zur Entdeckung Lateinamerikas engagieren. Ein Großteil der politischen Arbeit dieser Gruppe ist der Verteidigung des Katalanischen als einziger offizieller Sprache in Katalonien gewidmet. Von Anfang ihrer U-Haft an hat Nuria ihren Katalanismus unterstrichen und ihre Mitgliedschaft in Terra Lliure verneint. Zahlreiche Briefe, die sie aus dem Knast an ihre Großmutter schrieb und die in der katalanischen Presse und inzwischen auch als Buch erschienen sind, zeigen das Bild einer jungen linken Nationalistin, die sich politisch engagiert, auf Demos geht, Flugblätter schreibt...

Der Justiz ist der kleine Unterschied zwischen einer Aktivistin und einer Anhängerin des bewaffneten Kampfes offenbar gleichgültig: Nuria solle mindestens vier Mitglieder von Terra Lliure angeben und sich vom bewaffneten Kampf lossagen, soll der damals zuständige Richter Carlos Bueren zu Nurias Mutter gesagt haben, ansonsten verurteile er sie mit Sicherheit zu mindestens 24 Jahren Knast. Der Richter wurde inzwischen ausgewechselt, doch der Staatsanwalt forderte trotzdem 30 Jahre Haft für die Zwanzigjährige.

Die Antiterroristen verfolgen offenbar den Zweck, zwei Jahre vor der Olympiade in Barcelona Nationalisten und Independentisten massiv einzuschüchtern. Dabei geht es bei Terra Lliure um nicht viel mehr als einen Popanz: In zehn Jahren ihrer offiziellen Existenz hat die Organisation zwar die Verantwortung für mehr als 150 Anschläge übernommen, doch ihre Sprengstoffmanipulationen haben mit einer Ausnahme nur Opfer in den eigenen Reihen gefordert. Und in letzter Zeit verstärkten sich die Gerüchte, Terra Lliure gehe, mehr noch als ETA, die Puste aus. Doch für Terrorismusfahnder ist der Feind überall. Und wo er nicht ist, erfindet man ihn.

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