„Die Partei hier ein gutes Stück vorangebracht“

■ Anke Fuchs, SPD-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahlin Sachsen, über Verfassung und Partei INTERVIEW

taz: Die neue Landesverfassung wird die Arbeitsgrundlage jeder sächsischen Regierung. Zwei Entwürfe liegen vor. Welchen favorisieren Sie?

Anke Fuchs: Ich denke, daß wir zweistufig arbeiten müssen. Wir brauchen sozusagen eine Übergangsverfassung, damit die Arbeit zügig in Gang kommt, und dann würde ich gern einen Verfassungsrat installieren, wie er ja auch im Einigungsvertrag für die Bundesrepublik vorgesehen ist, der in den nächsten zwei Jahren verfassungsrechtliche Fragen wirklich überprüft. Beide Entwürfe sind mir jetzt zu konservativ. Ich möchte mehr plebiszitäre Elemente, mehr Selbstverwaltung der Kommunen. Und am Ende möchte ich einen Volksentscheid.

Wird eine sozialdemokratische Landesregierung nicht in Schwierigkeiten kommen, wenn am 2. Dezember der Bundeskanzler der alte bleibt?

Ganz klar, die ökologische und soziale Erneuerung des Industriestandortes Sachsen ist ein sozialdemokratisches Ziel, das eine gewisse Mehrheit braucht. Ein neuer Kanzler wird uns dabei schon helfen. Wenn Helmut Kohl Kanzler bleibt, muß man wissen, daß wir alles nur kreditfinanziert machen dürfen, uns also furchtbar verschulden müssen, und alle ökologischen Probleme auf die lange Bank geschoben würden.

Sind Sie sicher, daß die Instrumente der sozialen Marktwirtschaft bei der absehbaren Depression in Ostdeutschland noch greifen?

Ja, aber nach Karl Schillers Devise: „Soviel Markt wie möglich, soviel Staat wie nötig.“ Und hier ist jetzt Staat nötig. Wenn wir die Kräfte nämlich bündeln, werden wir schneller ans Ziel kommen, weil ganze Entwicklungen der Bundesrepublik übersprungen werden können, etwa im Bereich der Umwelttechnologie. Und wir können, wenn wir eine mixed policy nach Helmut Schmidt machen, mit einer Mixtur aus privater und staatlicher Initiative mit entsprechender sozialer Begleitung die Kräfte freisetzen. Das ist schmerzhaft, wir werden uns mit allerlei Leuten anlegen, die sagen, jetzt ist wieder sozialistisches Marterwerkzeug am Werke, aber Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg zeigen, daß es sich lohnt.

Glauben Sie denn, daß die sozialen Erfahrungen der Menschen in diesem Landesteil schon ernst genug sind, um sie für sozialdemokratische Ideen aufgeschlossen zu machen?

Der Punkt ist, daß die Leute hier sehen müssen, wie groß unser Anteil an der sozialstaatlichen Gestaltung der Bundesrepublik ist. Das wissen die Menschen hier so gut wie gar nicht. Wenn man ihnen erzählt, daß all die schönen Dinge erst errungen sein wollen und nicht von Gott gegeben sind, gibt es natürlich Diskussionen. Aber da wir das Glück haben, mit einer Bundesregierung konfrontiert zu sein, die hier wirklich knallharte Marktwirtschaft macht, kommen wir mit unseren Vorschlägen besser rüber.

Wie beurteilen Sie Ihre Wahlchancen?

Wir haben einen argumentativen Wahlkampf gemacht, und wir haben die besseren Argumente. Mein Eindruck ist auch, daß wir was verändert haben. Unsere Aufgabe war es ja auch, die Partei zu stärken, die Organisation aufzubauen. Und wenn ich manchmal in mich hineinhöre, denke ich, vielleicht packen wir es, daß ich Ministerpräsidentin werde. Und wenn nicht, dann hab ich wenigstens die Partei hier ein gutes Stück vorangebracht. Interview: Stefan Schwarz