Geschenkte Autobahn aus MVA-Abfall

■ Leningrader Autos sollen über deutsche MVA-Schlacke rollen / Zwei Bremer Firmen beteiligt

Hauptsache weit weg damit — Von einem unglaublichen Angebot berichtete der Leningrader Stadtverordnete Sergei Pomogaev in einem Beitrag des „Stern-TV“ am Mittwoch abend: Die Berliner Firma „Shebo“ wolle Leningrad mit einer 125 Kilometer langen Stadtautobahn versorgen — und zwar gratis. Als Zulage zu diesem Geschenk würden die Deutschen nach Fertigstellung sogar die Baumaschinen in Leningrad stehen lassen. Doch auch der Haken an dem Bombenangebot war Pomogaev aufgefallen: „Später sagten sie dann, daß sie als Füllmaterial für die Autobahn Schlacken und Aschen aus deutschen Müllverbrennungsanlagen mitbringen wollen.“

Hinter dem Milliarden-Projekt steht eine Briefkasten-Firma. „Shebo“ besteht nur aus einer einzigen Person, dem Exilrussen Karbowitsch. Gegenüber „Stern-TV“ nannte Karbowitsch die irische Firma „ISI“, die das Autobahn-Geschäft tatsächlich abwickele. ISI hat in Dublin jedoch ebenfalls weder Telefon noch Telexanschluß. Und noch einen Tip gab Karbowitsch: Hinter ISI wiederum stünden zwei Bremer Unternehmen: das „Dangerous Cargo Bureau“ und die Spedition „Transbo“.

hier bitte das Foto mit

den Förderbändern

Schlacke-Halde der Bremer MVA

Diese beide Firmen existieren tätsächlich. Der Besitzer von „Transbo“, Rolf Bolte, erlitt gestern, einen Tag nach dem „Stern- TV“-Beitrag, einen Herzinfarkt. Noch am Donnerstag hatte Boltes Sohn eine Beteiligung von „Transbo“ an dem Leningrader Autobahn-Projekt gegenüber der taz bestätigt: „Wir sind da nur wenig involviert“, schränkte er jedoch ein und verweigerte dann jede weitere Auskunft.

Auch das Dangerous Cargo Bureau (DCB) bestätigte gegenüber der taz eine Beteiligung an dem Geschäft — allerdings lediglich als Gutachter. „Wir haben eine makellose Weste“, bekannte einer der beiden Inhaber, Kapitän M. v. Gadow. Schließlich sei seine Firma, „seit 17 Jahren gut beleumdet“ und er selber als Gutachter für gefährliche Transporte von der Handelskammer „öffentlich bestellt und vereidigt“. Tatsächlich habe DCB in dieser Funktion und im Auftrag der irischen Firma ISI Proben der Müllverbrennungs-Schlacke analysiert, die für den Autobahnbau verwendet werden sollen.

17 mal sei sein Kollege, der Kapitän R. Mattner, in Moskau und Leningrad gewesen, um über den Bau zu verhandeln. „Ökologisch

Foto: Wolfram Steinberg

ungefährlich“ sei dabei das abschließende Ergebnis sowohl der sowjetischen als auch seiner eigenen Analysen der MVA-Schlacken gewesen, sagt v. Gadow. Auch eine mit Schwermetall verseuchte Probe, die das DGC den Sowjets absichtlich untergeschoben habe, sei dort sofort entdeckt worden.

„Dreckige Konkurrenz“

Gestern allerdings teilte v. Gadow mit, das Geschäft sei geplatzt. Und das, obwohl alle Papiere, die Stern-TV präsentiert hatte, gefälscht gewesen seien. „Alle beteiligten Personen sind doch Mimosen“, begründete v. Gadow das jähe Ende des Projekts, von dem er am Donnerstag noch sagte, es fehle „nur noch die letzte Unterschrift“.

Gestern wußte v. Gadow auch, wer Schuld ist am Platzen des Autobahn-Geschenks: „ein dreckiger Konkurrenzkampf mit einem Konsortium, hinter dem auch ein ehemaliger Stern-Redakteur steckt“. Die von v. Gadow genannte Firma R.E.M.A. in Berlin hat allerdings — zumindest offiziell — nichts mit MVA-Schlacken zu tun, sondern betreibt ein Kinocenter am Kurfürstendamm.

Sicher ist immerhin, daß MVA-Schlacken tatsächlich im Straßenbau verwendet werden — und zwar auch in der Bundesrepublik schon seit Jahren. Zwar enthalten sie oft einen hohen Anteil an Schwermetallen — Proben aus der Bremer MVA wiesen z.B. einen Bleianteil von bis zu 2 Promille auf —, unter einer Teerdecke und über Grundwasserniveau ist die Schlacke im Straßenbau jedoch vor Auswaschungen weitgehend geschützt. „Für die nächsten 1.000 Jahre gibt es dann keine Probleme“, meint Bremens MVA-Chef Matthes.

4 Mark pro Tonne Schlacke

Tatsächlich bezahlt Bremen auch für die Abnahme von MVA- Schlacke, zur Zeit rund vier Mark pro Tonne. Daß es jedoch möglich sein sollte, mit diesem Geld tatsächlich den Bau einer gesamten Autobahn zu finanzieren, halten Kenner der Branche für ausgeschlossen — selbst wenn in Betracht gezogen wird, daß Arbeitskraft in der Sowjetunion durch die Abwertung des Rubel sehr billig geworden ist.

Ökonomischen Sinn hätte das Autobahngeschenk allerdings sehr schnell, wenn unter die MVA-Schlacke auch Stoffe gemischt würden, die man nur schwer und für sehr viel Geld los wird, z.B. Filterstäube aus Müllverbrennungsanlagen, die mit zahlreichen Giften bis hin zu Seveso-Dioxin belastet sind.

„Bei dem Volumen, das für einen Autobahnbau nötig ist, würde das doch sofort auffallen“, gibt der Bremer Kapitän v. Gadow zu bedenken. Wie sich sonst allerdings das Geschäft lohnen sollte, will er nicht sagen: „Ich kann schließlich nicht die Geschäftsgeheimnisse meines Auftraggebers ausplaudern.“

Zumindest die Leningrader Stadtverwaltung war bereit, das Autobahngeschenk anzunehmen. In einer Vorlage, die auch der taz vorliegt, hat sie dem Stadtsowjet empfohlen, „angesichts der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage um Leningrad und der schweren Verkehrsbelastung der Stadt“ den Vertrag abzuschließen. Schließlich habe sich die Berliner Firma „Shebo“ in ihrem Angebot verpflichtet, die Autobahn bis spätestens 1999 fertigzustellen. Eine verlockende Perspektive, wo doch „nach Schätzungen sowjetischer Spezialisten eine Ringautobahn um Leningrad auch in 15 bis 20 Jahren noch nicht gebaut“ werden könne. Dirk Asendorpf