Ein Bitburg unter den Linden

■ Wird aus dem Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus ein Zentral-National-Opfersammel-Großmahnmal?

Seit dem Volkstrauertag 1983 wünscht sich der Kanzler ein zentrales Mahnmal zum Gedenken an Stalingrad, Schleyer und die Schlesier. Mit der herren- und ideologielos gewordenen Schinkelschen Neuen Wache könnte der Wunsch in Erfüllung gehen. Bei der Neueinrichtung sollte man

allerdings jeglichen Kitsch

vermeiden, findet DHM-

Direktor Christoph Stölzl, und das Volk würde am liebsten den Wachwechsel hinüberretten.

Von Thomas Kuppinger

Bloß die Bärenfellmützen fehlten, Touristen und ziellos dahinbummelnde Einheimische hatten dennoch ihre Gaudi daran. Das Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus hatte echte Erlebnisurlaubsqualität, besonders mittwochs, wenn die langen Kerls vom Eliteregiment »Friedrich Engels« mit viel preußischem Brimborium ihren Wachwechsel vornahmen. Aber auch alltags, wenn jeweils zwei stahlbehelmte DDR- Volksarmisten reglos unter Schinkels klassizistischen Säulen Wache schoben. Da gab's endlich einmal beim Sightseeing etwas gratis, ein bisserl Buckingham-Palast inmitten der kalten Lindenpracht. Am spannendsten dabei die Frage: Niest der nun, oder läßt er sich gar zum Lachen bringen? Zudem bot sich ideales menschliches Beiwerk für einen gelungenen Urlaubsschnappschuß...

Die Neue Wache, Schinkels frühes Meisterwerk von 1817, hatte es gegen ein solches lebendiges Happening von jeher schwer. Zumal am säulenüberladenen Boulevard eh eine Inflation an Pseudogriechischem tobt. Und die in der Neuen Wache im Halbdunkel untergebrachte Gedenkstätte wiederum mußte mit ihrer düsteren Botschaft gar gegen die langen Kerls und die hoch gerühmte Ästhetik des preußischen Baumeisters ankommen. Zu allem Übel verhalf auch noch ihr spießiger DDR-Proletarierprunk vielen Besuchern ohnehin zu ganz anderen Gedankensprüngen — weg von den Opfern des Holocaust, der Gewaltherrschaft der Nazis und der unseligen deutschen Armeetraditionen.

Nun ist das Mahnmal herrenlos. Im zuletzt zuständigen Eppelmann- Abrüstungsministerium werden nur noch Regale abgerüstet. Die Zeit des staatlichen Antifaschismus von oben ist vorbei. Das Wachregiment »Friedrich Engels« der Deutschen Demokratischen Republik selig gibt's nicht mehr. Die Vorhut der Bundeswehr ist bereits in Berlin eingerückt — ohne sich aber dem Auftrag und Erbe des soeben geschluckten Engels-Regiments stellen zu wollen. Derzeit, so Pressesprecher Frank Salis vom Verteidigungsministerium in Bonn zur taz, prüfe man noch, was mit der Neuen Wache geschehen soll, ob man überhaupt zuständig sei. Bislang zumindest unterhalte die Bundeswehr keine Gedenkstätten und Mahnmale dieser Art, noch exerziere man irgendwo ständig öffentlich zur Schau. Man betrachte solches auch als »keine originäre militärische Angelegenheit«.

Eigentümer der Wache ist der Magistrat und damit nun die Berliner Landesregierung. Als historisch- kulturelles Denkmal fällt der Bau ins Ressort Kultur, vertreten durch Kultursenatorin Anke Martiny und Kulturstadträtin Irana Rusta (beide SPD). Doch auch dort weiß man noch nichts mit der Wache anzufangen — zumal man sich der Zuständigkeit nicht sicher sein kann. So verwies Martinys Sprecher Zawatka gleich auf mehrere involvierte Behörden. Anzusprechen seien aus baulicher Sicht die Denkmalpflege West, angesiedelt bei der Senatorin für Stadtentwicklung und Umweltschutz, die Denkmalpflege Ost bei der Kulturstadträtin und letztere natürlich auch selbst. Schließlich das Deutsche Historische Museum (DHM) im benachbarten Zeughaus und last but not least die Senatskanzlei, in deren Zuständigkeit Gedenkstätten von herausragender Bedeutung (Plötzensee, Wannseevilla, Stauffenbergstraße) fallen. Konkrete Pläne zur Schinkel-Wache gebe es derzeit im Hause Martiny allerdings nicht. Auch der zuständige Gedenkstättenbeamte der Senatskanzlei, Ekkehard Klausa, wußte weder von neuen Ideen des Senats für die Neue Wache noch von Bonner Begehrlichkeiten.

Letztere hat bereits vor zwei Wochen der 'Spiegel‘ in den leeren Raum hineinsuggeriert. Das Blatt prophezeite, »spätestens« zum Volkstrauertag werde wieder der Ruf nach einem nationalen Zentralmahnmal für die Toten der Kriege und der Gewaltherrschaft laut. Zumal sich dies der Kanzler höchstpersönlich innigst wünsche. Unter dem Deckmäntelchen der vorbeugenden Warnung eröffnete das Nachrichtenmagazin damit die Diskussion ums Mahnmal. Garniert mit dem Kohl- Zitat, er, der Kanzler, wünsche sich seit Jahren ein »gemeinsames würdiges Mahnmal für die Opfer der beiden Weltkriege, der Gewaltherrschaft, des Rassenwahns, des Widerstands, der Vertreibung, der Spaltung, des Terrorismus«. Nicht zuletzt, so die Hamburger ganz böse, um die Zahl der Kohlschen Kranzniederlegungen zu reduzieren. Weil der Große Kanzler zudem die Tradition liebe und die Neue Wache bereits seit 1931 als schlichtes Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges gedient habe, steht nun — nach dem Folgeschluß des 'Spiegels‘ — zu befürchten, daß die Wache für ein solches Zentral-National- alle-Opfer-Vereinigungsmahnmal in die Pflicht genommen werden könnte.

Beim Bundeskanzleramt bestätigte man das Zitat wieder und stellte dabei fest, daß der Kanzler dies bereits bei einer Rede zum Volkstrauertag 1983 »endlich« gefordert hatte. Erneute, nun konkretisierte Pläne für ein Kohlsches Supermahnmal wollte man allerdings nicht bestätigten.

Der Wunsch des Kanzlers — zugleich ein alter Traum staatstragender und national gesinnter Kräfte — hat seine ganz eigene, irre Logik: Die Urenkel gedenken im Supermahnmal des bei Verdun im Felde gebliebenen Ahnherren, Oma weint um den in Stalingrad geopferten Opa, umrahmt von Schwulengruppen, die einen Kranz für im KZ vernichtete Männer mit dem Rosa Winkel niederlegen. Marjellchen aus Masuren erinnert sich der Flucht anno 45 übers Große Haff, Seite an Seite gedenkend mit Stasi-Opfern. Daneben trauern Industrielle und Bankiers um die Opfer der RAF, flankiert vielleicht von einer Abordnung deutscher Altkommunisten. Dahinter warten Schlesier und Angehörige umgekommener Mauerflüchtlinge. Ja selbst jene alten SS-Kameraden, die sich ja nie anders denn als deutsche Soldaten begriffen haben, könnten hier gefallene Kameraden beweinen. Und die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer des Holocaust an den Juden dürften sich auch noch einen Platz erkämpfen. Ganz zu schweigen von der Berlin besuchenden Schuljugend, die hier kostengünstig auf einmal das Thema »Opfer in Deutschland« abhandeln könnte — nach dem Motto: Zusammenrechnen, Verrechnen, Abrechnen... Bliebe unterm Strich dennoch ein Stückchen unbequeme Besinnung, dann könnte erneut Schinkels preußische Ästhetik für beruhigende Zerstreuung sorgen. Unterstützt vielleicht von nun bundesrepublikanischen langen Kerls in Uniform...

Nur leicht eingeschränkt hat die Idee des Opferzusammensammelns inzwischen der CDU-MdB und unermüdliche Hauptstadttrommler Jochen Feilcke aufgenommen. In gleichlautenden Telefax-Briefen an den damaligen Noch-Ministerpräsidenten de Maizière und den Kanzler frohlockte Feilcke am 13. September nicht ohne Seitenhieb auf die rheinische Provinzstadt: »Was in Bonn nie gelungen ist, kann jetzt in Berlin an einem würdigen Ort geschaffen werden: ein Mahnmal für alle Toten der Kriege, insbesondere den ‘Unbekannten Soldaten‚, und für alle Opfer verbrecherischer Gewaltherrschaft, die von Deutschen über Deutsche und ihre Nachbarn ausgeübt worden ist.« Beschriftungsvorschlag Feilckes: »Zentrale Gedenkstätte für die Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft«. Ob der sehr verehrte Herr Bundeskanzler bereits wohlwollend geprüft hat, wie dies der Parlamentarier erbat, wurde in Bonn noch nicht bestätigt. Worauf er sich bei einem Jawort einläßt, muß Kohl jedoch klar sein. »Bei Staatsbesuchen beispielsweise sollte hier eine Kranzniederlegung vorgesehen werden«, wünscht sich Feilcke.

Denkmalpflegerisch wäre eine solche Aufgabenausweitung für die steinerne Halle denkbar. Die derzeit ewige Flamme könnte man ebenso vor Erreichen der Ewigkeit auspusten, wie man den bronzenen Grabplatten und güldenen Buchstaben zu Leibe rücken könnte. Ein Recht auf automatischen Denkmalschutz haben sie nicht. Der oberste Denkmalschützer West, Professor Helmut Engel, erklärte hierzu, man müsse das innere Ambiente des Mahnmals »im Gesamtpaket« behandeln. Nur ein Bestandteil davon sei die Prüfung, welche Erinnerungen an die nun »abgeschlossene Kulturepoche« im öffentlichen Interesse erhalten werden müßten.

Wenn man sich bei der Neuen Wache schon in eine solche Richtung bewege, führte dagegen der Direktor des Deutschen Historischen Museums, Christoph Stölzl aus, dann müsse man unter allen Umständen Kitsch vermeiden. Stölzls Vorschlag für das Interieur: Die Wartenden Soldatenfrauen, das letzte Werk der Bildhauerin Käthe Kollwitz, eine winzige, kaum 20 Zentimeter große Skulptur, die man unter Umständen sogar in dieser Kleinheit in die Schinkelsche Halle stellen sollte. Eine Idee, die bei genauerer Begründung zumindest ihre ganz eigene Logik hat. Generell, so das Argument des feministischen Vorkämpfers aus dem DHM, gehorchten alle Mahnmale, egal wie abstrakt sie auch seien, doch einer männlichen Ästhetik. Frauen spielten im Offiziösen nach wie vor als Opfer keine Rolle. Und könnten heutige Künstler überhaupt eine Sprache finden gegenüber dem Unaussprechlichen von 50 Millionen Toten? Ein weiteres Argument sei die Sprachlosigkeit der Künstler, die sich nun heutzutage einer solchen Mahnmalgestaltung zu stellen hätten. Käthe Kollwitz' Arbeit, Werk einer schwer Leidtragenden aus beiden Kriegen, käme dagegen »aus einem bereits vorhandenen Schicksalszusammenhang« und setzte zudem einen deutlichen Akzent vor dem Hintergrund der Halle. Wenn denn überhaupt eine Ehrenwache sein müsse, so Stölzl weiter, müsse man auch an das archaische Prinzip der Totenwache denken und zivile Wachen andenken: »Das müssen nicht Soldaten sein.« Ob das FDP-Mitglied dabei an die nunmehr zunehmend beschäftigungslosen Vertreter der DDR-Bürgerbewegung gedacht hat? Reichlich »Berufserfahrung« in Kerzenanzünden und Mahnwachen wären da schließlich vorhanden...

Bestrebungen für ein großes zentrales Mahnmal von nationaler Bedeutung gibt es nicht nur aus der Richtung des Kanzlers, sondern auch aus einer ganz anderen politischen Ecke in Berlin. Seit geraumer Zeit kämpft die Bürgerinitiative »Perspektive Berlin« — unter dem Vorsitz der Publizistin und TV-Talkmasterin Lea Rosh — um eine Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust, bewußt mitten im symbolüberladenen Herzen von Berlin. Seit dem Fall der Mauer hat man nun den angepeilten Standort vom Gestapo-Gelände am Martin-Gropius-Bau zum ehemaligen Niemandsland unmittelbar südlich des Nationalaltars Brandenburger Tor verlegt. Subversiver Clou dabei: Allzu deutschlandverliebte Euphorie angesichts des Tores fände zwangsweise ihren Dämpfer. Auch die Bestimmung der Holocaust-Gedenkstätte hat der Intellektuellenverein inzwischen zugleich eingegrenzt und ausgeweitet: Die Forderung geht nun nach einem »Denkmal zum Gedenken an die ermordeten Juden Europas«, so »Perspektive«-Geschäftsführer Jakob Schulze-Rohr. Ganz bewußt wolle man dabei auch jahrhundertelange Judenverfolgung in anderen europäischen Ländern einbeziehen. Ebenso bewußt schließe man zugleich die nichtjüdischen Opfer der Nazis aus, für die eigene Mahnmale errichtet werden müßten, wenn ihrer angemessen gedacht werden solle.

Der DDR altes Mahnmal für die Faschismusopfer kommt Schulze- Rohr dabei weder in der bisherigen noch in irgendeiner künftigen Form in Betracht. Schinkels Wache stünde für eine »vorbelastete Paradeschrittgeschichte«, könne allenfalls noch soldatischen Kriegstoten gewidmet werden — und auch dann nur »einschließlich Deserteuren und Widerständlern«.

Volkes Stimme wurde inzwischen auch um Rat gefragt. Aus Anlaß der Vereinigungsfeiern durfte am 3. Oktober jeder, der vorbeikam, dem Deutschen Historischen Museum im benachbarten Zeughaus seine Meinung zum Mahnmal kundtun. Elitäre Empfindsamkeiten spielten dabei weniger eine Rolle als Sinn fürs Praktische — und für sparsames Wirtschaften: Ja, das Mahnmal könne so fortbestehen, da es nun einmal dasei, meinten die meisten. Man müsse bloß die allzu penetranten DDR-Spuren tilgen. Und dazu gehörte für viele die Inschrift. Netter als die Formulierung »für die Opfer des Faschismus und Militarismus« seien doch allemal die typisch bundesrepublikanischen Worte »für die Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft«. Heftiger Streit brach bei der Publikumsveranstaltung des DHM allerdings bei der Frage der militärischen Bewachung aus. Viele wollen sich partout nicht von Uniform und Strammstehen trennen.