Minderheitenschutz für Millionäre

■ AL kritisiert skandalösen Geldsegen für Einkommensstarke durch die Berlinförderung/ Umverteilung gefordert

Schöneberg. Sie sind eine kleine, aber feine Minderheit: Rund 500 Personen zählt die Gruppe der Einkommensmillionäre in West-Berlin. Daß der erlauchte Kreis nicht unnötig kleiner wird, dafür sorgt unter anderem die Berlinförderung. Wie aus einem von der AL in Auftrag gegebenen Gutachten hervorgeht, verschaffen die achtprozentige Arbeitnehmerzulage und die Einkommenssteuerermäßigung den Einkommensmillionären jährlich einen zusätzlichen Subventionssegen in Höhe von 75 Millionen Mark. Zusammen mit den rund 4.500 WestberlinerInnen, die ihr Jahreseinkommen nur auf bescheidene 250.000 bis eine Million Mark beziffern können, beanspruchen sie jährlich 363 Millionen Mark — das entspricht 55 Prozent dessen, was Bonn jährlich an Einkommensteuerermäßigung für Berlin zubilligt.

Für die AL war das Grund genug, gestern erneut eine Reform der Berlinförderung zu fordern. Höchstens 4.800 Mark pro Jahr Berlinförderung will der AL-Abgeordnete Bernd Köppl Gut- und GroßverdienerInnen ab 60.000 Mark Jahresgehalt noch zubilligen. Betroffen wären laut Gutachten etwa 40.000 SteuerzahlerInnen in West-Berlin. Eingespart würden dadurch jährlich rund 600 Millionen Mark.

Mit diesem Geld will die AL die dringend notwenige Aufbauarbeit im frisch vereinigten Umland finanzieren. Das umverteilte Geld soll in einen regionalen Wirtschaftsförderungsfonds fließen, der außerdem durch einen Abbau der bisher auf West-Berlin beschränkten Steuervergünstigungen für Hersteller und Abnehmer von Westberliner Produkten gefüllt werden soll.

Seit nicht nur Bonner Haushaltspolitiker der CDU/FDP-Koalition, sondern auch die Finanzexpertin der SPD, Ingrid Matthäus-Maier, die Berlinförderung schon ab 1991 stutzen wollen, reagiert man in der Berliner SPD auf Änderungsvorschläge reflexartig mit einem »Hände weg!«. So auch gestern. Während Finanzsenator Meisner gestern in Bonn vor dem Bundesrat ein Plädoyer gegen jede sofortige Kürzung oder Streichung hielt, ermahnte zu Hause im Schöneberger Rathaus der SPD- Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt den Koalitionspartner, Änderungsvorschläge gefälligst für sich zu behalten. Angesichts der schwierigen Verhandlungssituation in Bonn seien die von der AL entfachten Diskussionen »kontraproduktiv und schädigen das Interesse der Stadt«.

Ungerührt von diesem skandalösen Geldregen für die einkommensstärksten Gruppen zeigte sich auch Wirtschaftssenator Mitzscherling (SPD). Den AL-Vorschlag, Obergrenzen bei der Einkommens- und Körperschaftssteuer und der Arbeitnehmerzulage einzuführen, wies er ebenso zurück wie die Forderung, die Unternehmerpräferenzen innerhalb der nächsten fünf Jahre abzubauen. Derartige Maßnahmen, so Mitzscherling, würden insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen in Handwerk, Gewerbe und Dienstleistungsberufen beeinträchtigen.

Eher Wunschdenken ist demnach der Vorschlag Köppls, Mitzscherling solle das Gutachten mitsamt AL- Vorschlägen als Verhandlungsgrundlage mit nach Bonn nehmen. Möglicherweise erhält die AL aber Unterstützung aus der SPD-Baracke in Bonn. Dem Vernehmen nach haben die SozialdemokratInnen für die Haushaltsverhandlungen in Bonn gesteigertes Interesse an dem Gutachten signalisiert. Andrea Böhm

Siehe auch Interview

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