Wenig Zeit für eigene Staatlichkeit

Mit Mecklenburg und Vorpommern wurde im Jahre 1945 ein ungleiches Paar vereinigt/ SED-Herrschaft bot keine Möglichkeiten zu einer eigenständigen föderativen und demokratischen Entwicklung  ■ Von Lutz Werner

Es war schon ein von der Geschichte sehr ungleich behandeltes Paar, das da im Juli 1945 durch einen Befehl der alliierten Sieger zu einem Land zusammengefügt wurde: Mecklenburg, ca. 16.000 Quadratkilometer groß, als historische Einheit seit dem Mittelalter in einem Gebiet gewachsen, das durch die Ostsee, Holstein, Brandenburg und Vorpommern begrenzt wurde und eben dieses gut 7.400 Quadratkilometer große Vorpommern, östlich der alten mecklenburgischen Grenze und westlich der Oder. Ein Torso, bezeichnet durch die Gebiete um Greifswald, Stralsund, Anklam, Demmin und Grimmen sowie durch die Inseln Rügen und Usedom, losgerissen von seinem wirtschaftlichen Zentrum Stettin und seiner historischen Identität als Teil des deutschen Territoriums Pommern beraubt. „Pommerland ist abgebrannt“, beklagt ein altes Kinderlied, auf das Schicksal des Territoriums in vielen Kriegen hinweisend, die diese Gegend seit dem Mittelalter immer wieder verheerten. Diesmal war es endgültig. Nicht nur Pommerland hatten die Deutschen unwiderruflich verloren und für ihre Kriegsverbrechen die Quittung bekommen.

Die Nachkriegsentwicklung gab dem Land Mecklenburg-Vorpommern kaum Zeit, zu eigenständiger staatlicher Identität zu finden. Am 1.März 1947 wurde durch einen Verwaltungsakt der Zusatz „Vorpommern“ aus der Landesbezeichnung gestrichen. Unausgesprochen stand dahinter die, wie sich herausstellte, törichte Vorstellung, unbequemes historisches Erbe per Ukas totschweigen zu können. Diejenigen, die es betraf, wurden nicht gefragt; ein Zustand, an den sie sich in den kommenden vier Jahrzehnten zu gewöhnen hatten.

Der 1946 gewählte Landtag verabschiedete zwar 1947 noch eine Verfassung für das Land Mecklenburg, die sich formal an die demokratische Landesverfassung für Mecklenburg-Schwerin aus dem Jahre 1920 anlehnte. Aber die SED hatte die Entwicklung schon voll im Griff. Föderalistische und demokratische Strukturen waren den kommunistischen Machthabern, wie andernorts auch, suspekt: 1949 wurde das Land Mecklenburg Gliedstaat der DDR.

Zahlreiche Länderkompetenzen gingen auf die zentralistische Staatsgewalt über. Das „Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe im Lande Mecklenburg“ vom 25.7.1952 beinhaltete so ziemlich das Gegenteil von dem, was der Gesetzestitel versprach. Es verfügte die Zerschlagung des Landes Mecklenburg mit seiner wenigstens auf dem Papier demokratischen Verfassung. Das Land wurde, wenig später um Gebiete aus der Westprignietz und der Uckermark erweitert, in die Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg aufgeteilt und im zentralistischen Einheitsbrei verrührt.

Gemeinsamkeiten in der neueren Geschichte

Zwar flattert heute allerorten Mecklenburgs Blau-Gelb-Rot und Pommerns Blau-Weiß im Winde und der mecklenburgische Stierkopf und der pommersche Greif feiern fröhliche Urständ. Zwar leistet sich das zukünftige Land einen für Außenstehende schwer verständlichen Hauptstadtstreit, in dem es für Schwerin und Rostock freilich um solche handfesten Dinge wie Regierungssitz, Parteizentralen, Verkehrsanbindungen und Wirtschaftsansiedlung geht. Doch die Traditionen, die dieses Land am 14.Oktober, diesmal auf demokratischer Basis, erneut zusammenfügen werden, sind in der kurzen und von oben verordneten staatlichen Gemeinsamkeit oder gar in noch weiter zurückgehenden historischen Gliederungen kaum zu suchen. Das historische Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen im Landstrich zwischen Ostsee, Brandenburg, Elbe und Oder erwächst, neben gleicher Mentalität und Volkskultur, vor allem aus der Alltags- und Konfliktbewältigung der neueren Geschichte.

Im Jahre 1945 wurde die Bevölkerung völlig umgewälzt. Zwei Millionen Aussiedler, Flüchtlinge und Vertriebene ergossen sich über diesen Landstrich; eine Million blieb und verdoppelte die hier ansässige Bevölkerung. Die sowjetischen Machthaber und ihre deutschen Erfüllungsgehilfen ordneten, nicht zuletzt um das Heer Existenzloser zu versorgen, 1945 eine Bodenreform an. Demokratisch sollte sie sein, sie scherte sich aber genausowenig um Recht und Eigentumstitel wie die pommerschen und mecklenburgischen Großgrundbesitzer und Junker in den Jahrhunderten zuvor, als sie den Bauern das Land geraubt und sie zu geschundenen Tagelöhnern gemacht hatten. Der Freiherr vom Stein, Preußens großer Reformer, bereiste um 1800 Mecklenburg und notierte, daß der mecklenburgische Junker auf seinem Gut hause „wie ein Raubtier, in seiner Höhle, alles um sich verödend“. Ernst Moritz Arndt, der große Kämpfer für die Aufhebung der Leibeigenschaft, schilderte die Verhältnisse in Vorpommern mit ähnlichen Worten. Es war weniger Demokratie, sondern mehr ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit, wenn in Mecklenburg-Vorpommern 1945/46 kurzerhand Nazis, Kriegsverbrecher und alle Besitzer über 100 ha Bodeneigentum in einen Topf geworfen, mit dem Recht des Stärkeren enteignet und ihr Land unter anderem an Umsiedler und Tagelöhner verteilt wurde.

Die Nazis waren in Mecklenburg zeitig ans Ruder gekommen. Walter Granzow, ein Gutsbesitzer und Goebbels-Schwager, bildete bereits im Juni 1932 eine faschistische Regierung in Schwerin. Die Nationalsozialisten siedelten Rüstungsindustrie in den Agrarregionen Mecklenburg und Vorpommern an. Diese wirtschaftliche Scheinblüte versank, gemeinsam mit den größeren Städten der Region, in Schutt und Asche. Das, was noch stand, demontierten die sowjetischen Sieger. Nicht demontiert werden konnte allerdings die noch junge industrielle Tradition, an die vor allem mit Hilfe vieler Umsiedler angeknüpft werden konnte. Seeverkehrswirschaft, Fischfang und -verarbeitung, Werftindustrie und ein damit verbundener Wissenschaftsbetrieb haben die sozialgeschichtliche Entwicklung in den größeren Städten im Küstengebiet des Neubundeslandes nach dem letzten Weltkrieg geprägt.

„Aktion Rose“ in den Ostseebädern

Gemeinsam ist beiden Territorien auch eine historische Erblast, eng verbunden mit dem Phänomen Stasi und in einschlägigen Akten geheimnisumwittert als „Aktion Rose“ bezeichnet. In den Ostseebädern zwischen Ahlbeck und Boltenhagen, in denen seit der Jahrhundertwende ein gepflegter bürgerlicher Badebetrieb zum einträglichen und kultivierten Wirtschaftszweig geworden war, ging im Frühjahr 1953 die Angst um. Terrorkommandos der Stasi verhafteten unter fadenscheinigen Vorwänden systematisch Hotel- und Pensionsbesitzer, und diensteifrige SED- Richter sorgten dafür, daß die attraktiven Tourismusobjekte ohne Entschädigung in Staatseigentum überführt wurden. Im größten Ostseebad an der mecklenburgischen Küste, in Kühlungsborn, waren zum Beispiel 28 Personen von der „Aktion Rose“ betroffen. Die Feriendienste von Stasi, NVA und FDGB stießen sich in diesen Wochen gesund. Die damals als „Volksfeinde“ Enteigneten, beziehungsweise ihre Nachkomen, machen heute ihre berechtigten Eigentumstitel geltend, und knapp vier Jahrzehnte nach dem dramatischen Geschehen sorgt die „Aktion Rose“ noch einmal für Unruhe in den Badeorten längs der Ostseeküste.

Ein Blick in die ältere Geschichte Mecklenburgs und Vorpomerns würde manches Bemerkenswerte zutage fördern, das allerdings inzwischen nur noch den Stellenwert interessanter Historie ohne einen unmittelbaren Bezug zur Gegenwart hat. Beiden Territorien ist der slawische Ursprung der Fürstenhäuser gemeinsam. Mecklenburgs herzogliche Obodritennachfahren waren aber erfolgreicher als die Kollegen in Pommern. Sie herrschten immerhin 751 Jahre, allerdings in ihrer Machtausübung durch eine altertümliche feudale Ständeverfassung ziemlich eingeschränkt. Erst die Novemberrevolution von 1918/19 räumte mit den feudalen Relikten auf. Die rückständigen verfassungspolitischen Verhältnisse, die jeden Ansatz einer parlamentarischen Entwicklung vermissen ließen, waren im 19. Jahrhundert in Deutschland einmalig inmitten einer kapitalistischen Moderne, die von Eisenbahnen, Telegraphen und Maschinen geprägt wurde. Sie machte zwar um Mecklenburg keinen Bogen, aber der Fortschritt wurde hier nur in kleiner Dimension sichtbar.

Bemerkenswert erscheint auch die einmalige territoriale Kontinuität der mecklenburgischen Außengrenzen von 1317 bis 1945, die nur einmal, von 1648 bis 1803, unterbrochen wurde. Anders als in Preußen und Sachsen aber hatten dynastische Legenden im bescheidenen mecklenburgischen Wirkungsfeld nicht viel Raum.

Pommerns slawenstämmigen Herzögen von Stettin und Wolgast war keine so lange Regierungszeit beschieden. Mit Bogislaw XIV., der noch einmal beide Herzogtümer vereinte, starb das Greifenhaus 1637 aus. 1648, nach dem Dreißigjährigen Krieg, rissen sich Schweden und Brandenburg-Preußen die Erbmasse unter den Nagel und kämpften noch bis 1720 um Gebietsanteile. Vorpommern, das ehemalige Pommern- Wolgast, kam an Schweden; das andere Pommernherzogtum eignete sich Preußen an. Der Wiener Kongreß ordnete 1815 Europas Staatenwelt und bestimmte auch das Schicksal Vorpommerns: Die Schweden mußten raus, und die Preußen erreichten ihr Ziel, sich ganz Pommern als Provinz einzuverleiben. Dabei blieb es bis 1945.

Sieht man einmal von der Einbindung der großen Küstenstädte in den kulturgeschichtlich bedeutsamen Hansebund ab, auf dessen Spuren man im Stadtbild von Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald noch auf Schritt und Tritt stößt, muß man doch sagen, daß Bewegung mit nationalgeschichtlicher oder gar internationaler Dimension von Mecklenburg und Vorpommern nicht ausgegangen ist. Dazu lagen die dünnbesiedelten Territorien zu weit ab von den politischen und wirtschaftlichen Zentren in Deutschland. Der historisch gewachsene Provinzialismus, im Kulturellen mitunter ärgerlich, ist auch heute noch spürbar, sicher nicht in Großstädten wie Schwerin oder Rostock, bestimmt aber in den vielen, verträumt wirkenden Kleinstädten, wo er auf sympathische Weise irgendwie zum Bild der Region gehört.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sektion Geschichte an der Universität Rostock