1946 wurde in der Sowjetischen Besatzungszone noch frei gewählt

■ Die Ergebnisse der damaligen Landtagswahlen geben ein zuverlässiges Gesamtbild der politischen Präferenzen im sowjetisch besetzten Teil Nachkriegsdeutschlands

Nur wenige Ostdeutsche, die am Sonntag über die neuen Länderparlamente abstimmen, werden sich an die Wahl-Episode aus der Frühzeit der DDR-Geschichte erinnern: Am 20. Oktober 1946 wurden in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die Landtage von Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen gewählt. Es sollten die einzigen Abstimmungen vor der Volkskammerwahl 1990 bleiben, bei denen die Bevölkerung tatsächlich zwischen konkurrierenden Parteien entscheiden konnte. In einer Zeit, als die Sowjetunion noch alles auf die gesamtdeutsche Karte setzte und ihr antifaschistisch-demokratisches Politikmodell deshalb auch für die Westzonen attraktiv erhalten mußte, waren freie, gleiche und geheime Wahlen in ihrem Besatzungsgebiet unumgänglich. Zwar wurde auf verschiedene Möglichkeiten des „corriger la fortune“ zugunsten der SED nicht verzichtet — die bürgerlichen Konkurrenzparteien CDU und LDP verfügten beispielsweise über geringere Organisations- und Werbepotentiale. Doch im großen und ganzen vermitteln die Ergebnisse jener Wahlgänge ein zuverlässiges Gesamtbild der politischen Präferenzen im sowjetisch besetzten Teil Nachkriegsdeutschlands.

Mit 47,6 Prozent aller in der SBZ abgegebenen gültigen Stimmen erhielten die Einheitssozialisten bei den Landtagswahlen 1946 eine deutliche relative Mehrheit. Was der PDS heute als Traumergebnis erscheinen mag, befriedigte die SED- Genossen damals nicht ganz. Trotz eindeutiger Vorteile im Wahlkampf konnte sie in keinem Landtag die absolute Mehrheit der Parlamentssitze erringen. In Mecklenburg (49,5 Prozent), Sachsen (49,1 Prozent) und Thüringen (49,3 Prozent) verschaffte ihr schließlich die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe die hierzu fehlenden Mandate, in Brandenburg (43,9 Prozent) und Sachsen-Anhalt (45,8 Prozent) gelang dies jedoch nicht.

Nur um rund 8.000 Stimmen zugunsten der LDP differierte 1946 das Gesamtergebnis der bürgerlichen Parteien in der SBZ. Die LDP kam auf 24,6 Prozent, die CDU auf 24,5 Prozent der Stimmen. Hinter diesen Zonendurchschnittswerten verbargen sich auf Länderebene teilweise erhebliche Abweichungen. So erzielte die Union mit 34 Prozent ihr bestes Ergebnis in Mecklenburg- Vorpommern — bedingt durch die organisatorische Schwäche der LDP im Norden, aber auch begünstigt von dem durch Flüchtlinge und Umgesiedelte gestiegenen katholischen Bevölkerungsanteil. Außerdem lag die CDU in Brandenburg mit 30,6 Prozent deutlich über ihrem Durchschnitt, was nicht zuletzt auf den besonderen Einfluß West-Berlins zurückzuführen war. Verkehrte Welt, aus heutiger Prognose-Sicht. Die LDP, die nachweislich vom Protestwahlverhalten sozialdemokratischer Vereinigungsgegner profitiert hatte, gewann ihre höchsten Anteile in Sachsen-Anhalt (29,9 Prozent) und in Thüringen (28,5 Prozent).

Nicht immer entsprachen die Resultate der Nachkriegswahlen in der SBZ dem Spiegelbild der Parteistärken in der Endphase der Weimarer Republik. Überraschend etwa, daß die SED ausgerechnet im ehedem feudal-junkerlichen Mecklenburg Vorpommern in der Wählergunst ganz vorne lag. Dort also, wo bis 1930 eine Hochburg der Deutschnationalen Volkspartei bestand, bevor diese ihre Klientel an die NSDAP verlor. Die konsequent durchgeführte Bodenreform hatte sich im agrarischen Norden für die Einheitspartei offenbar rentiert.

Während der Einfluß West-Berlins das SED-Resultat 1946 eher schmälerte, hatten die Linksparteien vor 1933 vom Hauptstadt-Sog profitiert. Noch 1932 erhielten sie in den Potsdamer Wahlkreisen der Provinz Brandenburg rund 47 Prozent der Stimmen, während in der Region Frankfurt/Oder die NSDAP mit über 48 Prozent eines ihrer besten Ergebnisse erzielte.

Ähnlich polarisierte Verhältnisse wiesen die sächsischen Wahlkreise 1932 auf. Dominierte in den Gebieten Dresden-Bautzen und Leipzig das „sozialistische“ Lager mit zusammen fast 52 Prozent der Stimmen (bei einem relativ hohen KPD-Anteil von 17 Prozent), lagen die Nazis in Chemnitz-Zwickau (47 Prozent) etwa 10 Prozent über dem Reichsdurchschnitt. Die thüringische Wählerschaft stand dieser Begeisterung für die Nazis kaum nach. In den Regionen, die das zukünftige Land Sachsen-Anhalt bilden, besaßen die Kommunisten eine ihrer stärksten Bastionen. Im Industrierevier um Merseburg überflügelte die KPD vor 1933 die Sozialdemokratie, die ihrerseits in der Gegend von Magdeburg eine Hochburg hatte. Günter Braun

Der Autor ist wiss. Mitarb. am Inst. für Sozialforschung, Uni Mannheim