Landtagswahlen in den fünf neuen Bundesländern
: Flächendeckender Erfolg für die CDU?

■ Erneut steht die Kanzler-Partei vor einem Wahlsieg auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Nur in Mecklenburg und Brandenburg darf die SPD noch hoffen.

Ex-Innenminister Peter Michael Diestel steht wieder mal über den Parteien. Der CDU-Spitzenkandidat in Brandenburg beschied seinen potentiellen Wählern, eigentlich sei es egal, ob sie ihm oder seinem SPD-Konkurrenten Dieter Stolpe ihre Stimme gäben. Mit seiner selbstlosen Empfehlung drückt Diestel nicht nur seine Bereitschaft zur Großen Koalition, sondern auch einen bestimmenden Zug des kurzen Wahlkampfs in den fünf neuen Ländern aus: harte Polarisierung war nicht an der Tagesordnung. Dafür dürften in erster Linie die WählerInnen selbst gesorgt haben. Ihr Interesse für politische Schaukämpfe hielt sich demonstrativ in Grenzen. Selbst Bonner Prominenz — ausgenommen der „Kanzler für Deutschland“ — sah sich des öfteren mit halbleeren Sälen konfrontiert.

Die Skepsis der WählerInnen gegenüber den Darstellungskünsten der Politik vor dem dritten Wahlgang dieses Jahres ist zuerst auf den ungebrochenen Problemdruck sowie ein ansehnliches Reservoir noch nicht eingelöster Versprechen zurückzuführen: Die Preise rennen den Löhnen davon, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit steigen weiter, westliche Investoren bleiben zurückhaltend. Wie schon im Vorfeld der Kommunalwahlen im Mai verweisen die drängendsten Probleme weiter auf Bonn. Zudem ist im 40 Jahre zentralistisch verwalteten Land die Vorstellungskraft für die spezifische Kompetenz der zukünftigen Landespolitik eher unterentwickelt. Überschattet wird das Ganze ohnehin von der bevorstehenden Bundestagswahl, die das kurze landespolitische Techtelmechtel zum Vorwahlkampf und die Abstimmung zum Testlauf für Bonn degradiert.

Folglich konzentrierten sich die Spitzenkandidaten auf die Propagierung wolkiger Großentwürfe, angereichert mit eher gezwungen wirkenden Versuchen landesspezifischer Traditionssicherung. Die SPD im Küstenland Mecklenburg-Vorpommern etwa bemüht die Hanse, um ihr Zukunftsbild vom „Mittelmeer des Nordens“ ans Volk zu bringen. Die CDU in Sachsen ruft die Erinnerung an die „einst bedeutendste Industrieregion Europas“ wach, um die Brücke zwischen einer ökonomisch potenten Zukunft und der sinnfälligen Misere der Jetzt-Zeit zu schlagen. In Sachsen-Anhalt versucht DSU-Spitzenmann Prinz Eduard von Anhalt die Wunden aus 40 Jahren Sozialismus mit fürstlichen Erinnerungen zu heilen. Der Prinz — Leidtragender der Bodenreform — hat auch gleich versprochen, im (Wahl-)Erfolgsfall keinem seiner prospektiven Untertanen etwas wegzunehmen — Ehrenwort!

Die sichtbarste Konsequenz aus der Bonn-Fixierung hat die CDU gezogen. Sie ließ Helmut Kohl in staatsmännischer Pose und unter dem Motto „Kanzler für Deutschland“ flächendeckend plakatieren. Die Spitzenkandidaten — außer Kurt Biedenkopf in Sachsen und Diestel in Brandenburg selbst in der Region weitgehend unbekannt — spielen bestenfalls die Statthalterrolle. Alle Wahlprognosen deuten darauf hin, daß das Kohl-Konzept ein weiteres Mal aufgehen wird. Die Popularität des Kanzlers ist ungebrochen. Für seinen — wenn auch etwas dünner aufgetragenen — Zukunftsoptimismus scheinen die neuen BundesbürgerInnen noch immer empfänglicher als für das Stochern in der Misere. Das spürt mittlerweile auch die SPD. Doch der Zwang zum Konstruktiven zeitigt eher kleinteilige oder abstrakte Versprechen: 200 Mark für jedes Kind verschwinden im breiten Problemhorizont, das große Infrastruktur- oder das staatliche Industrieprogramm beflügeln nicht die Hoffnungen.

Auf dem Prüfstand steht am Sonntag für die SPD zuallererst die Lafontaine-Strategie. Daß ihr etwas vom Krisengewinnlertum anhaftet, läßt sich mit eigenen Erfolgsrezepten nur schwer kontrastieren. Wenig deutet darauf hin, daß die von der Währungsunion Zurückgeworfenen jetzt massenhaft zur SPD überlaufen.

Im Süden des Landes, der einstigen Hochburg der Sozialdemokratie, scheint ohnehin alles gelaufen. In Thüringen und Sachsen kamen die konservativen Parteien bei den Volkskammerwahlen im März auf annähernd 60 Prozent. Der von Kohl ins Abseits gedrängte Partei-Modernisierer Kurt Biedenkopf hat gute Chancen auf das Amt des Regierungschefs in Dresden. Die SPD hat mit der Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs in Sachsen und in Thüringen mit dem Fraktionsvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen, Friedhelm Farthmann, traditionalistische Gewerkschaftler ins Rennen geschickt, die gerne die SPD-Kompetenz bei der Sanierung alter Industrieregionen unter Beweis stellen möchten. Doch die SPD-Ausgangsposition vom März ist denkbar schlecht: 15,2 Prozent in Sachsen, 17,5 in Thüringen. Auch die von NRW aus professionell organisierte Farthmann-Kampagne mit 100.000 wirklich geklebten Plakaten, 10.000 Kandidaten-Kilometern und einer Heißluftballon-Tour übers Thüringer Land werden da nicht reichen.

Auch in Sachsen-Anhalt fühlt sich die CDU auf ihrem Volkskammerergebnis von annähernd 45 Prozent so sicher, daß sie mit Gerhard Gies einen Newcomer ins Rennen schickt. Die SPD versucht, von der Popularität des ehemaligen Volkskammervizepräsidenten Reinhard Höppner zu profitieren. Die Liberalen hoffen hier auf ihr Spitzenergebnis: Genscher kommt aus Halle. In Mecklenburg liegt die CDU laut Umfrage nur knapp vor den Sozialdemokraten. Doch bei 20 Prozent Beschäftigten in der einheitsgebeutelten Landwirtschaft ist der Wahlausgang hier am schwersten kalkulierbar. Die Wahlenthaltung wird mit Sicherheit steigen. Profitieren könnte auch die PDS, die in Mecklenburg mit 23,9 Prozent ihr bestes Volkskammerergebnis erzielte; ein Umstand, der die Hoffnungen des schleswig-holsteinischen Justizministers Klaus Klingner, der für die SPD kandidiert, erheblich schmälert. Brandenburg bleibt das einzige Neu-Land, in dem die Meinungsforscher einen Vorsprung für die SPD vorhersagen. Hier profiliert sich der einstige Chefunterhändler zwischen Kirche und SED-Regime, Dieter Stolpe, als Politpragmatiker. Gegen den umstrittenen Ex-Minister Diestel könnte der SPD-Achtungserfolg gelingen.

Ausgerechnet in Brandenburg konnten sich Grüne und Bürgerbewegungen nicht auf eine gemeinsame Liste einigen. Vage Perspektiven auf Rot-Grün erscheinen so eher unrealistisch. Grüne und Bürgerbewegungen sonnen sich derzeit im Prognose-Hoch. Landesweit acht Prozent scheinen denkbar. Die PDS kann angesichts wachsender sozialer Verunsicherung zumindest auf Stabilisierung ihres Wählerpotentials hoffen. Doch eigentlich bedeutsamer Gradmesser für den Frustrationsanstieg in der ehemaligen DDR und die schon nachlassende Überzeugungskraft des neuen politischen Systems könnte die Wahlenthaltung werden. Ein flächendeckender Wahlerfolg der CDU, flankiert von wachsendem Politikverdruß, ist heute wahrscheinlicher als der vorschnell prognostizierte „heiße Herbst“. Matthias Geis