Bremer Pioniere der Rüstungskonversion

■ Neun Jahre Arbeitskreis „Alternative Fertigung“ / Gespräch mit den Betriebsräten Jörg Fischer und Manfred Nieft

In Bremen gründeten Vertrauensleute bei den „Vereinigten Flugtechnischen Werken“ (VFW) 1981/82 einen der bundesweit ersten gewerkschaftlichen Arbeitskreise zur „Alternativen Fertigung“. In der Hochphase beteiligten sich bis zu hundert KollegInnen an den Aktivitäten. Eine Veranstaltung mit dem Chefkonstrukteur Mike Cooley vom britischen Luftfahrtkonzern Lucas Aerospace, von wo die innerbetriebliche Bewegung für „Alternative Produktion“ ihren Ausgang genommen hatte, zog 700 Neugierige in die Zionsgemeinde. Die taz sprach mit dem Sprecher des Arbeitskreises, dem Diplomingenieur und Betriebsrat Jörg Fischer und mit dem Mitbegründer Manfred Nieft, Maschinenbautechniker und Betriebsrat. Der Betrieb, in dem ihr Arbeitskreis entstand, wechselte inzwischen durch Fusionen den Namen: Erst hieß er MBB („Messerschmitt- Bölkow-Blohm“), heute ist er aufgesplittet in „Deutsche Airbus“ und in „Marine- und Sondertechnik GmbH“.

taz: Warum habt Ihr vor neun Jahren den Arbeitskreis „Alternative Fertigung“ gegründet?

Jörg Fischer: Der Anlaß war der Auslauf des Tornado und der dadurch zu erwartende Verlust an Arbeitsplätzen. Der Tornado- Auslauf war für 1987 vorgesehen. Man muß also dem damaligen Betriebsrat und seinem Vorsitzenden Ludwig Hettling das Kompliment machen, daß sie weit vorausschauend agierten. Bei den allermeisten, die im Arbeitskreis aktiv geworden sind, hat auch der moralische Aspekt von Rüstung als Tötungsmaschinerie eine wesentliche Rolle gespielt.

Manfred Nieft: Unsere politische Aufgabe war es, den Arbeitnehmern zu sagen: Abrüstung ist möglich, denn Rüstungskonversion ist möglich.

Wie war die Resonanz?

Jörg Fischer: Es war auch für uns überraschend, wie viele sich zu Anfang reingehängt haben. 60 Kolleginnen sind ziemlich regelmäßig dabei gewesen. Das Interesses hat dann aber leider nachgelassen.

Manfred Nieft: Die tragenden Personen sind heute fünf bis acht Kollegen, aber das Umfeld ist natürlich wesentlich größer.

Welche konkreten Vorschläge kamen aus dem Arbeitskreis?

Jörg Fischer: Vier Arbeitsgruppen sind damals aus der Taufe gehoben worden: Medizin- und Umwelttechnik, und Verkehrs- und Energietechnik, wobei nur die letzten beiden bis heute arbeiten.

Manfred Nieft: Eine der Ideen betraf zum Beispiel die Beladung der Bahn mit kompletten LKWs. Bisher ist es ja so, daß alle LKW's nacheinander auf die Waggons auffahren und wenn auf der Strecke mittendrin ein LKW raus will, müssen alle LKWs, die davor oder danach stehen, runterfahren. Mit einer speziellen Ladeeinrichtung, einer Plattform, wäre das nicht notwendig. An jedem Punkt der Strecke hätte ein LKW abgeladen werden können.

Jörg Fischer: Unser neuester Vorschlag ist ein völlig neues Verkehrssystem, das allerdings mit den vorhandenen Gegebenheiten arbeitet. Denn wir sehen, daß das individuelle Gefährt nicht abzuschaffen ist. Dieses Gefährt darf man aber nur in bestimmten Bereichen benutzen. Ansonsten muß es sich in einen öffentlichen Verkehr einklinken. Nicht nur in den Städten, auch im Überlandverkehr. Wenn man etwa nach Dänemark in Urlaub fahren will, wird das individuelle Gefährt in Schienenfahrzeuge eingeklinkt. Wir haben ja genug Eisenbahnschienen liegen. Die letzten zwanzig Kilometer in Dänemark zur Küste, da wo keine Schienen liegen, kann man dann mit seinem allerdings langsamen Gefährt in Urlaub fahren. Man kann das Einklinken auch im Schwebebahnprinzip machen. Das ist erst einmal eine Idee, ohne daß wir die technische Ausführung jetzt schon wüßten.

hier bitte die

Karikatur mit dem Panzerrohr

Manfred Nieft: Insgesamt gibt es 76 Vorschläge, nicht nur in Verkehrstechnik.

Jörg Fischer: Wir haben auch einen tollen Vorschlag, wie das Bildvektorverfahren, das im Tornado angewandt wird, um im Tiefflug das Gelände von vorne zu analysieren und über Computer dann das Flugzeug steuert, in der Medizin angewandt werden kann. Um über eine Sonde Blutadern zu untersuchen. Das ist von der Geschäftsleitung gleich mit Begeisterung aufgenommen worden. Ob sie's anwenden, ist noch die Frage.

Manfred Nieft: Unsere Kriterien für Produktvorschläge sind, daß sie umweltfreundlich sein sollen, sozial sinnvoll, human herstellbar — nicht unter Akkordbedingungen — und daß sie ökologisch vertretbare Arbeitsprozesse beinhalten. Zum Beispiel sollte der Materialeinsatz recycelfähig sein. Und in der Region sollten sie möglichst einen Bedarf decken.

Ist jemals einer Eurer Projektvorschläge umgesetzt worden?

Jörg Fischer: Man darf diese Frage nicht überbewerten. Obwohl umgekehrt der Arbeitskreis auch aus der Sicht der Kollegen daran gemessen wird, fälschlicherweise.

Uns kam es ja vor allem darauf an, Arbeitsplätze zu erhalten. Und nicht, daß unsere Produkte hergestellt werden. Und da haben wir einiges erreicht. Die Geschäftsführung hat auf einer Betriebsversammlung gesagt: Von den damals 750 gewerblichen Kolleginnen und Kollegen, die im Betrieb am Tornado arbeiteten, sollten nur 300 übernommen werden, 450 standen zur Debatte. Später hat sie dann gesagt, von diesen 450 würden sie weitere 250 auf jeden Fall behalten. Irgendwann später haben sie gesagt, für die restlichen 200 würden sie auch noch was finden.

Wir hatten also Erfolg. Wir hatten offensichtlich so einen Druck ausgeübt, daß sich ein Geschäftsführer hinstellt, ohne daß ein Auftrag dahintersteckt und sagt: „Wir beschäftigen 250 Leute weiter.“

Von den von uns vorgeschlagenen Produkten wurden bisher nur zwei verwirklicht: MBB baut kleinere und mittlere Windkraftanlagen, die vorher nicht zur Produktpalette gehört haben.

Manfred Nieft: Ich hab' den Eindruck, daß bei Entlassungen auch der Senat in Bremen ganz stark unter Druck gekommen wäre, weil die Dinge, die wir vorgeschlagen haben, in der Öffentlichkeit stark bekannt waren. Zum Beispiel das Luftschiff für den Küstenschutz. Wenn jedes Jahr fünf Luftschiffe gefertigt worden wären, hätte das jedes Jahr 300 Leute beschäftigt.

Jörg Fischer: Die Geschäftsleitung hat gesagt: Wenn ein Kunde kommt, der ein Luftschiff haben will, dann bauen wir das Luftschiff. Sie hatten sich davon überzeugt, daß es technisch durchführbar ist. Nur eines hat die Geschäftsleitung nicht gemacht: Sie ist nicht zu ihrem Vertrieb hingegangen und hat gesagt: Nun seht mal zu, daß ihr Luftschiffe verkauft.

Nachträglich sieht es so aus, als seien die Tornado-Arbeitsplätze automatisch dadurch gerettet worden, daß es beim Airbus zum Produktionshochlauf kam.

Jörg Fischer: Nein. Das stimmt so nicht, denn damals, als die Geschäftsführung auf die Entlassungen verzichtete, war der Airbus- Hochlauf zwar ersehnt, aber noch für niemanden absehbar. Das mit dem Airbus war Zufall.

Außerdem heißt „Alternative Fertigung“ mehr: Wir müssen jetzt im Betrieb die öffentliche Diskussion darüber aufnehmen, daß die Ozonschicht durch hochfliegende Flugzeuge geschädigt wird: Denn die Abgasschleppen sind für die Atmosphäre weit gefährlicher als die Fluor-Chlor- Kohlenwasserstoffe. Es ist wichtig für die Arbeitnehmer, diese Dinge mitzubetrachten, denn die haben langfristig auch Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Daran arbeiten wir. In der Öffentlichkeit werden ja inzwischen auch das Automobil und die Kernkraftwerke als problematisch erkannt.

Des weiteren wollen wir verstärkt einsteigen in das Thema Umweltschutz am Arbeitsplatz und uns mal alles betrachten, was an schädlichen Dingen bei der Produktion auftritt: Farbspritzen, Beizverfahren, Cadmieren, wo total ungesunde Gase aus den Bädern aufsteigen. Zum Teil wird hier Farbspritzen in Raumanzügen gemacht. Das ist Wahnsinn. Betriebsrat und IG-Metall Arbeitskreis „Alternative Fertigung“ sind sich einig, daß diese Aufgabe angepackt werden muß.

Neuerdings sieht bei der „Marine- und Sondertechnik GmbH“ das Managment die Rüstungskonversion als seine originäre Aufgabe an. Seid Ihr als Arbeitskreis jetzt überflüssig geworden?

Jörg Fischer: Das Management lebt von der Hand in den Mund. Die Folge: Unsere Entwickler sind jetzt bei der Konversion sehr spät dran. Es ist fünf nach zwölf. Die Geschäftsleitung hat es ja nicht nötig, uns mal zu fragen. Aber wir werden solange bohren, bis unsere Arbeitsplätze sicher sind. Gespräch: Barbara Debus