80 Jahre altes Gulasch und gefriergetrocknete Robben

■ Arved Fuchs berichtete in der »Urania« über seinen Fußmarsch durch die Antarktis/ Greenpeace setzt sich für »Weltpark Antarktis« ein

Tiergarten. Minutenlanger Beifall schon vorweg. Nur moderne Helden bekommen solch begeisterten Applaus, bevor sie überhaupt ein Räusperchen tun. Arwed Fuchs aus Bad Bramstedt, der mit Reinhold Messner die Antarktis in 92 Tagen zu Fuß durchquerte, ist ein solcher Held. Beruf: Abenteurer. »Abenteurer ist ein ausdrucksstarker Mensch. So ähnlich wie ein Künstler.« Daß Arved Fuchs ausdrucksstark ist, kann niemand bezweifeln. Überaus selbstbewußt thront der Mann auf dem Podium im riesigen, prallgefüllten Humboldt-Saal der »Urania«, berichtet, erzählt, kommentiert seine nicht minder ausdrucksstarken Dias, auf denen sich klirrend weiß und blau die Schneeberge türmen. Das Gesicht, umrahmt von einer braunen Matte und einem dunklen Vollbart, könnte aus einer Camel-Reklame entsprungen sein, die Stimme dröhnt wie ein Fels in der Brandung. Man merkt: Der Mann kennt so gut wie keine Angst. Aber vielleicht auch keine andere Lust als die, sich Strapazen auszusetzen.

Die Antarktis, sagt Fuchs, ist doppelt so groß wie die USA und 50 mal so groß wie die Bundesrepublik. 98 Prozent des Kontinents sind von Schnee und Eis bedeckt. Der Sturm fegt mit bis zu 300 Kilometer pro Stunde über das Eis, die tiefste dort gemessene Temperatur betrug minus 89,6 Grad Celsius. Der Wind verstärkt die Wirkung der Kälte noch einmal erheblich, schon bei minus 30 Grad gefriert ihm ausgesetztes menschliches Fleisch binnen einer Minute.

Die Antarktis, sagt Fuchs aber auch, denn er ist ein moderner Held mit modernem ökologischen Gewissen, die Antarktis ist ein bedrohter Kontinent. Das riesige Ozonloch, die mit von PCB-Gift verseuchten Pinguine, die Ölverschmutzung durch Tankerunglücke seien »Vorzeichen einer globalen Umweltkatastrophe«. Auch deshalb habe er mit Messner zusammen »die Antarktis nicht bezwingen, sondern erleben« wollen und bei ihrer Durchquerung auf fast sämtliche Hilfsmittel verzichtet. Kein Hunderudel zog ihre Schlitten mit anfangs 125 Kilogramm Gewicht, sondern sie allein, nicht mal ein Funkgerät nahmen sie mit bei ihrem 2.800 Kilometer langen Marsch durch die weiße Hölle, nur ein Satellitenpeilgerät.

Bedroht ist die Antarktis, sagt Fuchs, aber auch durch die Pläne, ihre riesigen Rohstoffreserven auszubeuten. Die Natur ist jedoch um ein vielfaches empfindlicher, bei Ölförderung wäre kein Blow-out mehr reparabel, kein Bakterium kann in den kalten Gewässern das Öl zersetzen. Jeder Schaden, jeder menschliche Eingriff wird sofort tiefgefroren und bleibt jahrzehnte- oder gar jahrhundertelang erhalten. So wie das Gulasch, das Fuchs und Messner auf dem Herd der Basishütte vorfanden, das der Engländer Scott und seine Mannschaft als erste Antarktiserkunder vor über 80 Jahren zurückgelassen hatten. Das Gulasch stand halbgegessen auf dem Herd, auf den Regalen stapelten sich Kekse und Backpulver, in der Vorratskammer befanden sich »gefriergetrocknete Robben«.

Als sie auf dem Südpol die Polarstation der USA erreichten, hatten die beiden Fußgänger bereits 1.100 Kilometer in 48 Tagen zurückgelegt. Die Stationsleiter ließen ihnen ausrichten, sie seien »nicht erwünscht«, private Expeditionen wie diese »müsse man doch immer nur retten«. Dennoch wurden sie von jungen Amerikanern zur Sylvesterfeier »bei Coca Cola und Hamburgern« eingeladen. Das sei genauso irreal gewesen wie die ihnen dort vermittelte Nachricht vom Fall der Mauer.

Noch ungefähr ein weiterer Monat Gewaltmarsch und sie erreichten die Stelle, wo der Polarforscher Scott und seine Leute umgekommen waren. »Und da konnte ich verstehen, warum. Es war nicht die Kälte, nicht der Hunger. Alle ihre Energien waren ausgelaugt«. Doch allen Strapazen und Verletzungen zum Trotz erreichten die beiden Deutschen ihr Ziel. Zumindest das geographische, wenn auch noch nicht das ökologische. »Die Antarktis soll Weltpark werden«, fordert Fuchs im Gleichklang mit Greenpeace und den Grünen im Bundestag. Ute Scheub

Die Greenpeace-Fotoausstellung »Antarktis — der bedrohte Kontinent« ist noch bis zum 25. Oktober im Urania-Foyer zu besichtigen.