VORLAUF
: Atomspalter und Demokratie

■ "Spaltprozesse", Test the West-3, um 22.30 Uhr

Kein Bewegungsfilm — ein bewegender Film“, schrieb die taz über Spaltprozesse, einen Dokumentarfilm von 1987/88 über die atomare Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, den Widerstand der Bevölkerung dagegen und die Verluderung des Rechts.

Die Geschichte des Films ist so turbulent wie die des Widerstands. Hoch umstritten, von Bedenkenträgern der öffentlichen Anstalten kurzfristig aus dem Fernsehprogramm gestrichen, am Ende aber sehr erfolgreich, mit Filmpreisen überhäuft und von Kritikern getätschelt.

Vielleicht sollte man diesen Film gerade jetzt sehen, ein Jahr nach dem Ende von Wackersdorf, nach dem Abschied von der Wiederaufarbeitung. Denn erst heute wissen wir: Die WAA gehört zu den drei größten Wahnprojekten im Nachkriegsdeutschland, Wackersdorf ist zum Milliardengrab geworden, aber auch zur endgültigen Gruft für die radioaktiven Zukunftsvisionen der Atomgemeinde.

In der Oberpfalz sind sie am Ende genauso gescheitert wie zuvor in Gorleben, Volkmarsen, Diemelstadt, Cochem, Frankenberg, Dragahn. Dies alles waren Gemeinden, in denen sich in der Bevölkerung dieselben „Spaltprozesse“ zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen des Projekts bildeten wie in Wackersdorf. Sie alle waren einmal als WAA-Standort ausgesucht, bevor die Atomindustrie schließlich ins vermeintlich sichere Bayern unter die Obhut von Franz-Josef flüchtete.

Heute wissen wir, daß die KritikerInnen dieser Plutoniumküche recht behielten. Ohne ihren Widerstand stünde jetzt eine 20 Milliarden D- Mark teure Atomfabrik in der Oberpfalz und würde Plutonium sammeln für schnelle Brüter und Mittelstreckenraketen, die längst schon auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sind.

Die Frage, wie es denen ergangen ist, die gegen die Atomfabrik am Bauzaun rüttelten, mündet in die Frage, wie es ihnen heute noch ergeht. Und insofern ist der Film von Bertram Verhaag und Claus Strigel aktuell geblieben. Denn noch immer ist die bayerische Justizmaschinerie nicht zum Stillstand gekommen. Eine Amnestie für WAA-GegnerInnen hat es nie gegeben, die Aburteilung geht auch 1990 weiter.

Spaltprozesse ist Bestandteil einer Langzeitdokumentation über Atom und Demokratie, die noch fortgesetzt wird. Am nächsten Montag, dem 22. Oktober, folgt Restrisiko — oder die Arroganz der Macht.

Ein weiterer Film über die atomare Entsorgung ist noch in Arbeit. Er soll im Frühjahr 1991 in die Kinos kommen. -man-