Ein Aids-Labor für 1,5 Millionen Afrikaner

■ Brunhilde Walter war für das Medikamenten-Hilfswerk „Action Medeor“ in Uganda/ Kaum vorstellbare Zustände und „unverändert düstere Prognosen“/ „Es ist eine Tragödie, daß es bisher keine Reaktionen auf die große Aids-Krise gibt“

taz: Sie haben Uganda längere Zeit bereist, um sich ein Bild von der Ausbreitung von Aids zu verschaffen. Wie stark hat die Epidemie das Land inzwischen gezeichnet?

Brunhilde Walter: Aids ist erst nach dem Krieg, der Uganda von Amin und Obote befreit hat, als gefährliche Krankheit erkannt worden. Die Unwissenheit der Bevölkerung, aber auch das Nicht-Wissen-Wollen haben eine frühzeitige Reaktion auf die Epidemie verhindert. Der Krieg und die Krankheit gehören in Uganda zusammen. Es hat sich gezeigt, daß sich von Tanzania aus, über den Distrikt von Kampala, parallel zur Spur des Krieges auch die Spur von Aids zieht. Die Landstriche, die am stärksten von den Kriegswirren betroffen waren, sind jetzt auch am stärksten von Aids betroffen. Der Durchzug der Soldaten, die fürchterliche Ernährung der Menschen, der Zusammenbruch der Familienstrukturen und das Entstehen der Kinderheere mit Tausenden von Kindersoldaten, die mitgezogen sind, haben die Ausbreitung von Aids beschleunigt.

Nach offiziellen Zahlen sind bislang 15.000 Aids-Kranke in Uganda registriert. Welche Prognose kann man über die weitere Dynamik der Epidemie in Uganda stellen?

Inzwischen wird in Uganda viel über Aids gesprochen. Diese Auseinandersetzung mit der Krankheit ist die einzige Chance, damit fertig zu werden. Es gibt inzwischen eine große Selbshilfe-Organisation, die phantastisch arbeitet. Sie hat aber viel zu wenig finanzielle Mittel und sucht deshalb Hilfe im Ausland.

Gibt es Anzeichen, daß diese Anstrengungen Erfolg haben und die Zahl der Neuinfizierten ähnlich wie in Westeuropa zurückgehen?

Dafür ist es noch zu früh. Die Prognosen sind unverändert düster. Bischof Dungu sagte mir, daß in zehn Jahren die mittlere Generation zwischen 20 und 40 Jahren in seinem Distrikt weitgehend ausgestorben sein wird. Das heißt auch, daß von der Epidemie gerade diejenigen Menschen betroffen sind, die jetzt das Land wieder aufbauen könnten.

Welche Zahlen können Sie über die Ausbreitung von Aids nennen?

Es gibt in Uganda keine verläßlichen Zahlen. Das liegt schon allein daran, daß es kaum Möglichkeiten gibt, Betroffene zu testen. In der gesamten Diözese Masaka mit 1,5 Millionen Einwohnern gibt es ein einziges Aids-Labor. Dort können aufgrund der begrenzten Kapazitäten nur gezielt ausgesuchte Personen mit HIV-Verdacht, vor allem Schwangere, getestet werden. Die Schwester in diesem Labor macht im Schnitt täglich 35 Tests, mehr schafft sie nicht. Davon sind knapp 30 positiv. Auf dem Land wird die Diagnose Aids in der Regel von Krankenschwestern gestellt und die Betroffenen werden dann nach Hause geschickt, ohne daß sie auch nur registriert werden.

Das heißt, die Zahl von ofiziell 15.000 Aids-Fällen stimmt nicht?

Die Zahl müßte deutlich höher liegen. Allein in der Diözese Masaka gibt es heute etwa 40.000 Waisenkinder, deren Eltern an Aids gestorben sind. Ich habe auf meiner Reise überall Großeltern getroffen mit sieben, acht oder neun Enkeln, wo die mittlere Generation weggestorben ist.

Können inzwischen wenigstens die Blutkonserven auf HIV untersucht werden?

Offiziell ja. Aber ich habe mit Ärzten gesprochen, die sicher sind, daß auch auf diesem Weg noch Ansteckungen stattfinden. Aber die Konserven sind nicht das größte Problem, sondern die miserable hygienische Versorgung. Die Einmalspritzen werden zum Beispiel 30 bis 40 mal gebraucht. Sie werden, weil es auf dem Land keine Elektrizität gibt, in schlechtem Wasser provisorisch gereinigt. Wenn ein kleines Kind mit einer Malaria oder einer Lungenentzündung kommt, haben die Schwestern aber keine andere Wahl, als die Spritze zu benutzen. Tabletten gibt es ja nicht. Wenn man in Uganda nur das zur Verfügung hätte, was in jedem europäischen Krankenhaus im Mülleimer landet, könnte man schon viel helfen.

Die WHO hat Aids als „Krankheit der Armut“ bezeichnet. Welche sozialen Schichten sind in Uganda hauptsächlich betroffen?

In einem Hirtenbrief der ugandischen Bischöfe heißt es dazu: „Uganda kämpft seit langer Zeit gegen drei große Feinde: die Armut, die Unwissenheit und die Krankheiten. Wenn alle drei Faktoren zusammenkommen, dann haben wir die Situation von Aids.“ Die ärmeren Schichten sind am allerwenigsten in der Lage, sich gegen die Infektion zu schützen, weil sie weder die Möglichkeit noch das Geld haben, sich Kondome zu kaufen.

Welche Ansatzpunkte gibt es dann noch für eine Prävention, wenn Kondome weder verfügbar noch bezahlbar sind?

Es wird versucht, die familiären Bande zu stärken und die Promiskuität zu reduzieren. Die Aufklärung nennt natürlich auch die Infektionswege und die Risiken. Viele Ugander wissen einfach nicht, wo man sich anstecken kann und es existieren fürchterliche Ängste. Manche weigern sich in die Stadt, nach Kampala zu fahren, weil man dort „Aids kriegt“. Das Wissen um die Krankheit wird allerdings langsam besser, weil viel darüber gesprochen wird, auch in Schulen, Krankenstationen und Kirchen. Eines der großen Probleme liegt darin, daß viele Männer sich gerade an sehr junge Mädchen heranmachen, in der Hoffnung, daß sie sich dabei nicht anstecken. Bei diesen Kontakten werden die jungen Mädchen häufig infiziert.

Wie stark ist die Promiskuität im ugandischen Leben verankert?

In den Stämmen hat die Promiskuität immer bestanden. Vor allem, wenn die erste oder zweite Frau keine Kinder gebar. Es ist auch heute noch üblich, in jedem Fall Kinder zu bekommen, notfalls mit einer zweiten oder dritten Frau. Inzwischen wird die Einehe stärker propagiert, aber viele Ehemänner haben Freundinnen in der Umgebung. Manche, die in der Stadt arbeiten und auf dem Land leben, haben zwei Familien.

Wie sieht die Präventionskampagne gegen Aids ganz konkret aus?

In den großen Städten läuft viel übers Fernsehen, wo häufig über Aids berichet wird. Dann gibt es eine Broschüre, die wie ein Comic aufgemacht ist mit einfachen Bildern und Texten. Da werden die Ansteckungswege erklärt und immer wieder wird vor allem der Umgang mit Infizierten und Kranken angesprochen. Die Angst vor Aids sitzt nämlich so tief, daß sich manche Leute weigern, die Kinder von verstorbenen nahen Angehörigen aufzunehmen. Natürlich muß auch gesagt werden, daß Aids kein böser Zauber ist. Solche Dinge spielen immer noch eine Rolle.

Was können Sie über die medizinische Versorgung berichten?

Wenn in den Krankenhäusern Aids diagnostiziert wird, werden die Patienten in jedem Fall nach Hause geschickt. Die Krankenhausbetten sind so knapp, daß man jemanden, der eine reduzierte Lebenserwartung hat, hier nicht behandeln kann. Das heißt, daß die meisten Patienten sehr schnell sterben. Inzwischen sind die Familien aber besser auf die Situation vorbereitet. Die Pflege und Versorgung der Kranken hat sich gebessert. Eine medizinische Versorgung findet aber kaum statt.

Die gängigen Medikamente werden also gar nicht eingesetzt?

Sie sind nur in sehr geringem Maße verfügbar, und nur für die wenigen, die sie sich leisten können. Die medizinische Versorgung läuft fast nur über die kirchlichen Einrichtungen, die Hospitäler sind miserabel ausgestattet. Und auch die Ernährungssituation ist unverändert schlecht. Ich habe noch nie so viele schlecht ernährte und unterernährte Kinder gesehen. Viele Mütter sind so ausgepowert, daß sie nicht mehr stillen können. Die Kindersterblichkeit ist sehr hoch. Ich habe keine Mutter getroffen, die alle ihre Kinder großbekommen hätte. Das kann sich hier niemand vorstellen.

Inwieweit sind hier die Verhältnisse in den afrikanischen Staaten überhaupt bekannt?

Viele gebildete Leute in Uganda haben mir gesagt, wir sind für euch doch uninteressant. Es ist eine Tragödie, daß es bisher eigentlich keinerlei Reaktionen aus Europa auf die große Aids-Krise in Afrika gibt. So schön die Ost-West-Entspannung auch ist, sie geht aber offenbar doch zu Lasten der Nord-Süd-Beziehungen. Aids scheint hier ein wenig eingedämmt zu sein, und der Rest der Welt interessiert offenbar niemanden.

Wie könnte Europa helfen?

Die medizinische Situation, die Hygiene und die Wasserversorgung muß durch Hilfsprogramme verbessert werden. Man muß sich mal klarmachen, welches Wasser dort getrunken wird. Die meisten Menschen sind ständig verwurmt, leben ständig mit Anämien und haben keinerlei Widerstandskräfte. Auch ökonomisch ist die Situation für Uganda trostlos. Der Kaffeepreis, der vor zwei Jahren noch bei 28 Pfennig je Kilo lag, ist jetzt auf 17 Pfennig gesunken. Der Kaffee ist oft die einzige Einnahmequelle, um Schulgeld, Kleidung und Medikamente aufzubringen. Wenn hier die Leute jubeln, daß der Kaffee mal wieder eine Mark billiger geworden ist, dann könnte man wirklich das große Kotzen kriegen. Interview: Manfred Kriener