Vergewaltiger muß ins Gefängnis

■ Richter: „Wie eine attische Tragödie“ / Anwältin empfiehlt „Hilfe für Umgang mit Frauen“

Eine Frau behauptet, vergewaltigt worden zu sein. Der beschuldigte Mann bestreitet die Tat. „Noch vor 15 Jahren wäre ein solcher Fall, wo Aussage gegen Aussage steht, mit einem Formblatt eingestellt worden“, erinnert der Verteidiger. Schon zum zweiten Mal kurz hintereinander setzt die Bremer Justiz hier andere Zeichen: nach der Verurteilung des Schlagstock-Vergewaltigers von der Bahnpolizei (s. taz vom 6.10.90) glaubte das Gericht auch im Verfahren gegen den 39jährigen Lastwagenfahrer Jürgen M. der Frau. Jürgen M. wurde zu drei Jahren Gefängnis ohne Bewährung und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 2.500 Mark verurteilt.

Die mit einem Deutschen verheiratete Philippinin Lenie S. hatte M. beschuldigt, sie am 24.7.88 in seiner Wohnung durch die Forderung eines „Vertrauensbeweises“ dazu gebracht zu haben, sich zu entkleiden und nackt n sein Bett zu legen. Dann hatte er sie erst anal und dann vaginal vergewaltigt (s. Bericht über den ersten Verhandlungstag in der taz vom 6.10.90). Durch die Umstände der Tat ist das Urteil umso bemerkenswerter. Lenie S. war freiwillig in M.'s Wohnung gekommen, hatte sich ohne Gewalteinwirkung ausgezogen und in sein Bett gelegt. Genau da setzte Jürgen M.'s Verteidiger Habekost in seinem Plädoyer an mit dem Versuch, „vernünftige Zweifel“ an der Version der Frau bei den beiden Schöffen und dem Richter zu erwecken: möglicherweise sei es gar keine Vergewaltigung gewesen.

In der Vernehmung dreier philippinischer Freundinnen von Lenie M. hatte Habekost bereits versucht, diese zu einer moralischen Verurteilung eines solchen Verhaltens zu bewegen. „Können Sie sich vorstellen, daß eine philippinische, verheiratete, katholische Frau sich vor einem fremden Mann auszieht?“ wollte er von den dreien über kulturelle und sprachliche Barrieren hinweg wissen. Die Antworten zeigten in erster Linie Unverständnis über die Frage. Daß auch eine protestantische, europäische Frau sich nicht ohne weiteres vor einem Mann auszieht, betonte Lenie S.'s Anwältin Ellen Best. Gleichzeitig hob sie auf die psychologische Situation ihrer Klientin ab. Jürgen M. habe die Vergewaltigung zwar nicht bewußt geplant, aber langfristig vorbereitet, in dem er sie über Sitten und Moralvorstellungen auf den Philippinen und speziell in ihrer Familie ausgefragt habe.

Er habe intuitiv erkannt, wo er sie bei ihrer „Ehre“ packen könne. Um nicht als „Lügnerin“ dazustehen, mußte sie aus der inneren Logik der Situation heraus seiner Aufforderung nachkommen. Ellen Best: „Er hat sie ausgetrickst und ihr Vertrauen mißbraucht.“

Nach Meinung des Verteidigers hat sich Leni S. auch nicht klar gegen eine Vergewaltigung gewehrt. Sie hatte nach eigenen Angaben mit den Beinen gestrampelt und Gott und ihren Mann um Hilfe angefleht. Nach Habekosts Meinung hätte man aber deutliche Spuren einer Kampfhandlung an ihrem Körper feststellen müssen.

Die psychologische Sachverständige Monika Ulrich hielt Leni M. in allen Punkten für „voll glaubwürdig.“ Sie wies darauf hin, daß sie am ersten Verhandlungstag über Stunden konsequent, mit vielen Details und deutlichen Zeichen emotionaler Betroffenheit, den Hergang dargestellt hatte. Dem schlossen sich Staatsanwältin Charlotte Neubert und Richter Günther Pilz an. Pilz: „Das hat sich entwickelt wie eine attische Tragödie.“

Jürgen M. nahm auch am zweiten Verhandlungstag zum Fall selbst nicht Stellung. Aufschluß über seine Persönlichkeit und sein Verhältnis zu Frauen gab aber die Zeugenaussage seiner Mutter. „Sie sollten Hilfe für den Umgang mit Frauen annehmen“, gab ihm Anwältin Best mit auf den Weg, „sonst kann es wieder zur Katastrophe kommen.“ asp