„Auf das Milliönchen Stimmen verzichten?“

PDS-Parteitag beschließt Gründung von Landesverbänden im Westen/ Rote Karte für DKP-Fossile/ Diskussion über Politikkonzepte erst nach Ende des „Wahlstresses“/ PDS-Ost und PDS-West kennen sich nicht, aber der Bundestag lockt  ■ Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) — Diszipliniert, aber mit fragendem Stirnrunzeln verfolgen die meisten der 485 PDS-Delegierten nun schon seit einer dreiviertel Stunde die Debatte über die bevorstehende „Zäsur“ in der Parteigeschichte. So hat Gregor Gysi die Gründung von Landesverbänden im Westen genannt. Was bedeutet das? Wer und wieviele sind die Westler eigentlich? Warum wollen die so viel diskutieren, dann doch nicht richtig in der Partei mitmachen, sondern Autonomie beanspruchen? Wieso hat der Parteivorstand letzte Woche mal den PDS-Namen ändern und dann wieder beibehalten wollen? Fragen über Fragen im Ostberliner PDS-Haus am Köllnischen Park.

Der beschlossene „Zeitplan“ billigt der Debatte exakt eine Stunde zu. Da tritt Michael Mede ans Mikro. Ein Mann der „Vereinigten Linken“, die mehrheitlich über das Bündnis 90 und vereinzelt über die PDS ins gesamtdeutsche Parlament zu rutschen gedenkt. Mede formuliert die erlösenden, weil eindeutigen Sätze: „Wir müssen hier jedes Präjudiz für grundsätzliche Fragen sozialistischer Politik vermeiden. Die Hauptaufgabe lautet, als starke Fraktion in den Bundestag einzuziehen.“

Prompt folgt ein Geschäftsordnungsantrag auf Schluß der Debatte. „Wir sollten jetzt abstimmen“, verlangt ein Genosse aus der Bank des Ältestenrates, „was Gregor Gysi gesagt hat, sollte ausreichen, um an die Arbeit zu gehen.“ Mehrheitlicher Widerspruch. Der Zeitplan birgt noch Lücken und so überzeugend waren die Worte des Vorsitzenden offenbar nicht. Untersagt hatte das Bundesverfassungsgericht die für die Wahlen geplante Listenverbindung aus Linker Liste/PDS im Westen mit der PDS im Osten. „Sollten wir auf das Milliönchen Stimmen verzichten und nur als Lokalpartei in der ehemaligen DDR-antreten?“, fragt Gysi, um dann die PDS-Ausdehnung als „große Chance“ schmackhaft zu machen: „Was aus der Not geboren war, wird jetzt zur freiwilligen Gemeinschaft.“ Rhetorisch gut geflunkert, tatsächlich eine schlecht verpackte Offerte an die Parteibasis.

Handelt es sich etwa nicht um eine pure Notgemeinschaft, wenn eine Partei von 350.000 Mitgliedern ohne jede inhaltliche und personelle Klärung wenigen hundert WestlerInnen die Gründung von Landesverbänden überläßt? Wird da nicht eine Mogelpackung für die WählerInnen geschnürt, wenn der Hamburger Michael Stamm für die Linke Liste/PDS verkündet: „Über die Frage einer modernen, sozialistischen Politik und das Verhältnis von Partei und Bewegung diskutieren wir nach dem 2. Dezember, wenn der Wahlstress vorbei ist.“

Gespenstisch verläuft die Diskussion, ergeht sich in Andeutungen und nicht offen gestellten oder unbeantworteten Fragen. Von „dramatischen Vorgängen im Parteivorstand“ unmittelbar vor dem heutigen Parteitag spricht sybillinisch die Bundestagsabgeordnete Solveig Wegner und appelliert an ihre GenossInnen, die „äußerliche und inhaltliche Fremdartigkeit“ der WestlerInnen zu akzeptieren, das Gespräch zu suchen. Wohl wahr, entgegnet jemand aus Sachsen-Anhalt, „aber die Basis kennt die Linken aus der BRD nicht. Wird die Partei das aushalten können, wo wir nicht mal in der Ost-PDS die Auseinandersetzung führen?“ Auch das noch. Bei aller neuen Liebe zum Diskutieren, klagt ein sächsischer Delegierter: „Nicht nur die Schläge des Gegners, auch die viele verflossene Diskussionszeit wirft uns zurück.“

Stumm verfolgen die von jenseits der Elbe angereisten PDS-Aspiranten die vernehmliche Schelte. Fast scheint es, als wollten sie ihrem Querulanten-Image in der PDS untreu werden. Doch nach dem ersten Geschäftsordnungsantrag auf Schluß der Debatte schlägt ihr Stündlein. Monika Balzer vom Hamburger PDS-Freundeskreis redet Tacheles. Es empört sie, daß nur die Linke Liste/PDS das Recht haben soll, Landesverbände der PDS zu gründen: „Die Linke Liste/PDS ist ein kleiner Haufen von hundert Leuten geblieben, in dem 25 Personen das Sagen haben.“ Die „PDS-Initiativen“ hingegen fühlten „sich über den Tisch gezogen. Wo sollen die denn jetzt mitmachen?“, fragt Balzer, selbstverständlich ohne zu erwähnen, daß jene „PDS-Initiativen“ vielerorts die neue Heimstatt für DKPlerInnen geworden sind. Denen hat die PDS von Anfang an die rote Karte gezeigt und auch jetzt will sie verhindern, die stalinistischen Betonköpfe aus dem Westen in ihre Reihen zu integrieren. Wie kann das gelingen, wenn eine Partei stets verkündet, sie wolle „niemand ausgrenzen“? Und die einstigen Brüder und Schwestern sind hartnäckig. Nicht nur jener Bremer kann triumphierend ein Parteibuch hochhalten.

Das Unbehagen vor dem westlichen Winzling schürt eine Frau aus Bayern. Über elf Mitglieder verfüge die Linke Liste/PDS in Bayern. „Und die nehmen niemand mehr auf. Ohne jede Legitimation gründen die jetzt den Landesverband.“ Der Hintergrund für den nicht eben machtvollen PDS-Start im Freistaat: Auf der Landesdelegiertenkonfernz in Nürnberg hatten die Mitglieder der Linken Liste/PDS Ende September ihre liebe Müh und Not, sich der Majorisierungsversuche von rund fünfzig DKPlern zu erwehren.

Ähnliche DKP-Bestrebungen gab es überall. Gysi begnügt sich zunächst mit Spott: „Eine Neugründung von Landesverbänden auf demokratischer Basis kann es nicht geben. Wenn 14 sich dazu erklären, na gut, wen sollten sie denn fragen, alle Bayern?“

Das Problem der DKP-Begehrlichkeiten löst der Pragmatiker mit einer Andeutung: „Wenn wir offen lassen, wer die Landesverbände konstituieren kann, haben wir morgen entweder gar keinen Landesverband oder drei.“ Ende der Debatte.

Trotz des überzogenen Zeitplans muß Gysi noch ein „ermutigendes Schlußwort“ sprechen. Die Bitte an die „West-Linke, ihre internsten Probleme nicht auf dem Rücken des Parteitages auszutragen“, sie könnten die in der Ost-PDS verbreitete Solidarität gut gebrauchen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl ist immer noch die beste Klammer für die PDS. Daher rührt wohl Gysis zu Beginn wie zu Ende des Parteitages gleichermaßen zusammenhangloser Ruf: „Die CDU soll die Schmerzgrenze nicht überschreiten. Hände weg von Hans Modrow!“ Das reißt von den Stühlen und provoziert minutenlange stehende Ovationen für den Genossen Hans.