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Streit über Nato-Mandat verschärft

Entsendung von Bundeswehrsoldaten in die Türkei brisanter Präzedenzfall/ In Bonn wächst die Neigung zur generellen Erweiterung des Operationsgebiets der Bundeswehr/ Konsens nicht absehbar  ■ Von Andreas Zumach

Genf (taz) — Die Auseinandersetzung innerhalb des westlichen Bündnisses über militärische Einsätze außerhalb des Nato-Vertragsgebiets und über dessen Neudefinition spitzt sich weiter zu. Mangels Aussicht auf einen Konsens unter den 16 Bündnispartnern wächst in Bonn die Bereitschaft, per Grundgesetzänderung mehr als nur die Beteiligung der Bundeswehr an UNO-Friedenstruppen zu ermöglichen. Der politisch-psychologischen Vorbereitung auf weitergehende Optionen dient die gestern bekanntgewordene Bereitschaft der Bundesregierung zur Verlegung deutscher Soldaten an die türkisch-irakische Grenze.

Als „gelinde ausgedrückt opportunistisch“ kritisierte der US-Botschafter bei der Nato, William Taft, gestern in deutlicher Anspielung auf die Deutschen die „Doppelmoral vieler Europäer“. Sie unterstützten die „Stationierung von Streitkräften der USA, Frankreichs und Großbritanniens am Golf“, seien aber „gegen den Einsatz ihrer eigenen Truppen dort“, erklärte Taft in einem Interview mit der 'International Herald Tribune‘. Die Bush-Administration interpretiert den gültigen Nato-Vertrag so: Der Vertrag sei „kein Hindernis“ für das Bündnis, seine „Interessen zu verfolgen, falls seine Sicherheit bedroht ist — wo immer das geschieht. Es steht nichts in dem Vertrag, das uns davon abhält zu tun, was auch immer wir tun möchten.“

Diese extensive Interpretation des Nato-Vertrages wird von den meisten der 16 Mitgliedsstaaten nicht geteilt. Größere Unterstützung findet schon der Vorschlag für eine Vertragsänderung. Das aus einem Franzosen, einem Türken und einem US- Amerikaner bestehende Präsidium der Nordatlantischen Versammlung (NAV) der ParlamentarierInnen aus den 16 Ländern forderte die Nato jetzt mit Verweis auf die Golfkrise auf, „eine Politik der erweiterten Abschreckung zu verabschieden und die Nato-Charta so abzuändern, daß auch außerhalb des europäischen Bündnisbereiches auftretende Sicherheitsprobleme miterfaßt werden“. Diese Frage ist Hauptthema der NAV-Tagung im November.

Doch der für eine Neudefinition des Nato-Vertragsgebiets notwendige Bündniskonsens ist nicht absehbar. Mindestens fünf Staaten, darunter Dänemark und Norwegen, lehnen eine entsprechende Vertragsänderung strikt ab. In Bonn wächst vor diesem Hintergrund die Bereitschaft, per Verfassungsänderung mehr als einen Einsatz der Bundeswehr in UNO-Friedenstruppen zu ermöglichen. Wie der 'Spiegel‘ gestern berichtet, verlangt Kanzlerberater Teltschik eine Grundgesetzänderung, „die sich nicht auf UNO- Einsätze beschränkt“. Es müsse die Möglichkeit offenbleiben, die Bundeswehr außerhalb des bisherigen Nato-Gebietes einzusetzen.

Eine Verlegung von Bundeswehrsoldaten an die türkisch-irakische Grenze im Rahmen „alliierter Truppen innerhalb der Nato-Struktur“ verstößt zwar nicht gegen Gesetzes- oder Verfassungsbestimmungen. Politisch bedeutete sie aber einen brisanten Präzedenzfall mit „Dosenöffner“-Funktion für künftig weitergehende Entscheidungen. Bislang halten sich Bundeswehrsoldaten in einer Reihe von Nato-Staaten lediglich zur Bewachung von Materialdepots oder — kurzfristig — zu Ausbildungs- und Trainingszwecken auf. Eine Stationierung von BW-Einheiten in einem aktuellen Krisengebiet an der Nato- Außengrenze hat es in der 35jährigen Geschichte der deutschen Nato-Mitgliedschaft noch nie gegeben.

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