Ein glanzloser Sieger in Thüringen

Die Wahlnacht in der Landeshauptstadt Erfurt/ Duchacs Sieg, Farthmanns Abgang und das grüne Wahlbündnis im „Goldbroiler“/ Warum konnte Kohl nicht gewählt werden?/ Mit 30 Prozent waren die Nichtwähler zweitstärkste Partei  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Erfurt (taz) — Friedhelm Farthmann aus Düsseldorf ist die Erleichterung über den Wahlsieg der Chrisdemokraten in Thüringen anzumerken. Der sozialdemokratische „Kärrner“, dessen zerknittertes Antlitz wochenlang die Plakatständer in den Bezirken Erfurt, Gera und Suhl zierte, darf zurück nach Nordrhein- Westfahlen. Und daß er für seine Sozis — im Vergleich mit den Volkskammerwahlen — noch satte fünf Prozent mehr hat einfahren können, ließ den Rhein-Ruhr-Kumpel an den unmlagerten „Talktischen“ von ARD und ZDF fast triumphieren. Farthmann: „Das sind doch Perspektiven für die Bundestagswahlen.“ Am Ende der langen Wahlnacht im Haus der Bezirksverwaltung in Erfurt hatten sich die Sozialdemokraten in Thüringen bei erbärmlichen 22,8 Prozentpunkten „stabilisiert“.

Wirklich gewonnen hat die Wahl in Thüringen ein braver Biedermann aus Gotha, Josef Duchhac (52) von der CDU — obgleich Duchac der Kanzlerpartei im Vergleich zu den Volkskammerwahlen im März Verluste von sieben Prozent melden mußte. Doch da blieben gegen Mitternacht noch stattliche 45,4 Prozent für die CDU übrig, und Duchhac — „Ich heiße Duchhatsch und nicht Duschac!“ — dankte dem „Kanzler der Einheit“ fast auf den Knien für den „unermüdlichen Einsatz beim Werben um das Vertrauen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger“. Falls der ehemalige „Blockflötenspieler“ nicht noch in der Nacht vor Rührung dahingeschmolzen ist, wird der Mann neuer Ministerpräsident des Bundeslandes Thüringen werden, denn die FDP steht — Parallele zu Bonn — als Koalitionspartner Gewehr bei Fuß. Duchac hatte seinen neuen „9,3 Prozent-Vize“ samt Gattin gleich mit in die Wahlstudios gescheppt. Zur Gratulationscour stand die halbe hessische CDU auf der Matte des grell ausgeleuchteten Festsaales.

Doch zu den bürgerlichen Landtagswahlen brachte die Kantine der Bezirksverwaltung nur „Volksküche“ auf den Tisch: Braten mit Zwiebelgemüse und Brot — weshalb wahrscheinlich die Grünen, das Neue Forum (NF) und die Bewegung Demokratie Jetzt (DJ) das Innenstadtlokal „Goldbroiler“ angemietet hatten, zur Jubelfeier eines angepeilten Wahlerfolges von „um die zehn Prozent“, wie ihn Stasi-Auflöser Matthias Büchner ( NF) noch vor der Wahl prognostiziert hatte. Doch die Stimmung im „Goldbroiler“ war zunächst so schal wie das Bier, das schaumgebremst und reichlich aus den Zapfhähnen lief. Da krebste das Bündnis der drei Bürgerrechtsparteien noch knapp über der Fünf-Prozent-Hürde über die Monitore der Wahlstatistiker — und Matthias Büchner schüttelte im Wahlstudio enttäuscht Pferdeschwanz und Rauschebart: „Die Medien hier sind schuld. Die haben uns geschnitten und ausgebootet.“

Über den „schwarzen Filz“, der sich binnen Jahresfrist über die thüringische Presselandschaft ausgebreitet habe, klagten dann im „Goldbroiler“ auch andere Aktivisten der Bewegung. Doch: je später der Abend, desto besser die Ergebnisse für das Bündnis. Und mit letztendlich 6,4 Prozent haben die Thüringer immerhin den höchsten Stimmengewinn aller grün „angehauchten“ Bürgervereinigungen in den neuen Ostprovinzen erzielen können. Mit sechs Abgeordneten wird das Bündnis in den Landtag einziehen, angeführt von dem Komponisten Siegfried Geissler (NF) aus dem Bezirk Suhl. „Zufriedenheit“ mit dem Ausgang der Landtagswahl signalisierte denn auch gestern der Pressesprecher der thüringischen Grünen, Thomas Winkler. Immerhin, so Winkler, habe man sich der Infas-Prognose „fast genähert“.

„Zufrieden“ ist auch die SED- Nachfolgeorganisation LiLi-PDS, ein an StuPa-Wahlen erinnerndes Kürzel für die Partei des Alleinunterhalters Gregor Gysi. Dessen Statthalter in Thüringen, der stellvertretende Kultusminister der Ex-DDR, Klaus Höpke, rechnete die in Thüringen erzielten 9,7 Prozent hoch und kam zu dem Schluß — „bei Würdigung auch der anderen Ergebnisse“ — daß, die LiLi-PDS mit Sicherheit im neuen Bundestag vertreten sein wird. Höpke: „Wir werden unbequeme Demokratiewächter sein.“

Im Lager des Wahlsiegers Duchac dachte man in der Nacht laut darüber nach, warum die CDU nicht wie prognostiziert die absolute Mehrheit der Wählerstimmen auf sich habe vereinigen können. Duchac, so das Urteil, sei eben in Thüringen nicht bekannt genug gewesen — „und noch dazu ist das doch ein ausländischer Name“. Dazu paßte dann eine „Story“, die der grüne Wahlhelfer Winkler im „Goldbroiler“ zum besten gab: Da sei eine ältere Dame aufgeregt aus der Wahlkabine gekommen und habe nachgefragt, warum denn nicht „der Kohl“ auf dem Wahlzettel stehe, denn den habe sie doch heute wählen wollen!

Dafür, daß der Wahlsieger Duchac kein strahlender Wahlsieger werden konnte (und das grüne Bündnis gut aus den Startlöchern kam), dürfte allerdings ein anderes Phänomen die Verantwortung tragen: Mehr als 30 Prozent der Wahlbürger Thüringens boykottierten nämlich diese Landtagswahl und verstopften lieber in Hessen die Landstraßen und Autobahnen.