West-Grüne sehen „Alarmzeichen“

■ Betroffenheit über bayerisches Ergebnis/ Mitglieder des Bundesvorstands werfen Fusion wieder in die Debatte/ Die Grünen/Bündnis 90 setzen auf das breite Bündnis für die Bundestagswahlen

Bonn/Berlin (taz) — Viel hatten die westdeutschen Grünen nicht erwartet in den Ländern der ehemaligen DDR, doch auf mehr gehofft als ein Balancieren an der Fünf-Prozent- Hürde. So klang die vom Bundesvorstand am Montag auf einer Pressekonferenz geäußerte Zufriedenheit etwas verkrampft. Auch die Erleichterung, es habe keinen Rechtsruck gegeben, befriedigte nicht. Nachträglich für Ärger sorgte vielmehr, daß die Bundestagsfraktion und insbesondere Antje Vollmer gegen den Protest des Parteivorstands in Brandenburg Wahlkampf für das Bündnis 90 gemacht hatte: als Ergebnis bleiben die Grünen im dortigen Parlament nun außen vor. Mit besonderer Betroffenheit aber reagierten die Grünen, denen die Prognosen für die gesamtdeutsche Wahl bis zu 9 Prozent weissagten, auf das als „Schlappe“ empfundene Ergebnis in Bayern — trotz der als gut angesehenen Arbeit des Landesverbands, der Schwäche der SPD und des erfolgreichen Müllbegehrens.

Die Grünen profitierten nicht mehr automatisch von Parteiverdrossenheit, resümierte Vorstandssprecherin Heide Rühle. Ihre Vorstandskollegin Renate Damus befürchtet insbesondere, daß der „Neuigkeitswert“ der PDS den auf Proteststimmen abonnierten Grünen Einbußen bringen wird. Damus und Bundesgeschäftsführer Eberhard Walde denken unter dem Eindruck des als „Alarmzeichen“ verstandenen bayerischen Wahlergebnisses auch laut darüber nach, ob eine Vereinigung mit den DDR-Grünen nicht erst — wie bislang geplant — nach den gesamtdeutschen Wahlen, sondern noch davor passieren sollte. Nur dann nämlich, so bestimmt es das neue Wahlgesetz, würden auch die Stimmen aus der DDR den Grünen zugeschlagen, wenn man dort — oder auch umgekehrt — unter der Fünf-Prozent-Hürde bliebe.

Nun seien wenigstens die „Omnipotenzgefühle weg“ — so konnte die Radikalökologin und Vorstandsbeisitzerin Manon Tuckfeld auch Gutes im Ergebnis finden; ihrer Ansicht nach auch eine Quittung dafür, daß sich die Grünen in Bayern und den DDR-Ländern zu wenig von dem „nationalistischen Zeitgeist“ abgesetzt hätten. Und auch Damus forderte, die Grünen müßten sich gegen die drohende Konkurrenz der PDS absetzen. Sie müßten aufhören, „Opposition aus der Rolle der Regierungspartei“ heraus zu machen.

Ost-Alternative relativ zufrieden

Anders als die gedrückten Bonner zeigten sich die Ost-Grünen und die Bürgerbewegungen auf ihrer Pressekonferenz in Ost-Berlin relativ zufrieden. In den Ländern, wo ein Bündnis zustande gekommen sei, habe man den Sprung ins Parlament geschafft, ja sogar in Brandenburg, wo es zwei Listen gegeben habe (siehe auch Seite 2). Fazit: Im breiten Bündnis für die Bundestagswahlen liegt die Zukunft. Kathrin Menge (Initiative für Frieden und Menschenrechte) wies darauf hin, daß die Bürgerbewegungen und Grünen insgesamt 7,5 Prozent auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erhalten hätten. Dies entspräche zehn bis elf Sitzen im Bundestag.

Konrad Weiss (Demokratie Jetzt) merkte selbstkritisch an, der Verzicht auf den eingeführten Namen „Die Grünen/Bündnis 90“ habe Stimmen gekostet. Die Wähler seien von den unterschiedlichen Konstellationen in den einzelnen Ländern verwirrt worden; man habe sich zu sehr auf die eigene Klientel gestützt. Denoch machte auch er gute Chancen aus: wenn es gelinge, Unentschlossene und Noch-PDS-Anhänger zu überzeugen sowie Stimmen aus dem konservativen Block herauszubrechen, dann könnten die Grünen/Bündnis 90 als drittstärkste Kraft in den Bundestag einziehen. Eine Äußerung, die Klaus Wolfram vom Neuen Forum widersprach: Das Bündnis müsse seinen alternativen Charakter stärker herausstellen.

Doch die Freude über den Sprung in vier Landesparlamente und der häufige Verweis auf die gestiegenen Prozentzahlen im Vergleich zur Volkskammerwahl sollten nicht darüber hinweg täuschen, daß Bürgerbewegungen und Grüne in absoluten Zahlen weniger Stimmen einheimsten als im März. gn/bs