Das erfolgreiche „Modell Stolpe“

■ Ein Kirchenmann demonstriert, wie die SPD Stimmen der Arbeiter und Bauern gewinnt

Die SPD hat bei den Landtagswahlen am Sonntag einen Sieg errungen, der ihr genausoviel Kopfschmerzen bereiten dürfte wie das generell schlechte Abschneiden in fünf der sechs Länder: Mit dem Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe wird in Brandenburg ein Mann Ministerpräsident, dem der SPD-Stallgeruch fremd bleiben wird. Als die CDU nach der Volkskammerwahl einen Ministerpräsidenten suchte, weil der von seinem Sieg überraschte de Maizière zögerte, brachte sie den Namen Stolpe ins Gespräch. Doch der lehnte nach einer Bedenkzeit ab. Wochen später entschloß er sich, in die SPD einzutreten.

Im Wahlkampf vermied Stolpe alles, was als Polarisierung mißverstanden werden konnte, und wenn er eine große Koalition als „Notlösung“ weit von sich schiebt, dann eher aus grundsätzlichen Erwägungen heraus. Mit der CDU habe er keinerlei „Berührungsängste“, betonte er noch in der Wahlnacht wie zur Entschuldigung. Mit dem umstrittenen Innenminister Peter-Michael Diestel hatte Stolpe einen Konkurrenten, den er nicht selbst angreifen mußte, um ihn in den Augen des Wählervolks zu diskreditieren. So konnte Stolpe offenbar CDU-Wähler auf sich ziehen. Gleichzeitig geht PDS- Chef Gysi davon aus, daß Stolpe auch von einigen Prozenten des PDS- Klientel als „kleineres Übel“ gegen Diestel gewählt wurde.

Seit den Konflikten mit Rechtsradikalen in der Berliner Zionskirche und dem Streit um die Umweltbibliothek 1987 ist der brandenburgische Konsistorialpräsident als Vermittler zwischen SED-Staat und Kirche bekannt geworden. Innerkirchlich wurde Stolpe von den Oppositionsgruppen als Gegner betrachtet, der ausrichtete, was die SED erlaubte und was nicht. Er ließ sich nie anmerken, welche Gefühle ihn dabei bewegten. Manfred Stolpe beherrscht die Diplomatie mit Fingerspitzengefühl und vermeidet jegliche Polemik. Er ist auch kein Mann, der lautstark lamentiert oder sich mit seinen Kontrahenten anlegt.

Für seinen Wahlkampf holte er sich Unterstützung aus Raus nordrhein-westfälischer SPD. Sorgsam vermieden er und seine SPD-Strategen, den Kohl-Herausforderer und SPD-Kandidaten Oskar Lafontaine ins Land zu holen.

Mit seinem zurückhaltenden, pastoralen Stil erreichte Stolpe offenbar auch die traditionelle SPD-Wählerschaft: Während in allen anderen ostdeutschen Bundesländern in den Arbeiterhochburgen die CDU vorn liegt, haben in Brandenburg die Arbeiter mit 41 Prozent mehrheitlich für die SPD gestimmt. In ihren Hochburgen gewann die SPD deutlich sieben Prozent hinzu. Im dörflichen Bereich verbesserte die SPD sich sogar um 12,9 Prozent, die CDU verlor hier vier Prozent.

Stolpe hat die Chance, in einer „Ampelkoalition“ nun neben der FDP auch die Vertreter der Bürgerbewegungen einzubinden. Sie haben in Brandenburg zwar nur 6 Sitze (für die 6,4 Prozent vom Bündnis 90), aber mit den Grünen-Stimmen (2,84 Prozent) zusammen repräsentieren sie über 9 Prozent der Bevölkerung. Die „Oppositionellen“ kennt Stolpe, zumindest soweit sie innerhalb des kirchlichen Rahmens engagiert waren, aus seiner Vermittlerfunktion gegenüber dem SED-Staat.

Über den „brandenburgischen Rückenwind“ freut sich ganz besonders der Westberliner Regierende Bürgermeister Walter Momper. Am 2. Dezember wird man seinen Erfolg in Berlin mit dem von Lafontaine vergleichen. baep/kw