Aids-Pflege: Grauzone und kein Geld

■ Ambulante Versorgung von Aids-Kranken ist gefährdet/ Modellprojekt des Bundes läuft 1991 aus

Berlin. Die ärztliche und ambulante Versorgung von Aids-Kranken in Berlin droht zusammenzubrechen. Davor warnte Ärztekammerpräsident Ellis Huber gestern auf einer Pressekonferenz des Aids-Pflegevereins HIV e.V. in Charlottenburg. Wie VertreterInnen von Aids- Selbsthilfegruppen, Sozialstationen und Ärzte weiter mitteilten, wird dies spätestens im September 1991 passieren, wenn die Bundesmittel zur Finanzierung von 30 Aids-Pflegekräften im Bereich der Sozialstationen und der Selbsthilfe eingestellt werden. Schwere Vorwürfe wurden dabei an die Adresse von Gesundheitssenatorin Ingrid Stahmer (SPD) laut: Sie habe sich nicht auf die dramatischen Veränderungen im Aids- Bereich eingestellt und halte an einem »Konzept der integrierten Versorgung« — mit wenigen speziellen Aids-Pflegeangebote — fest. Die meisten der rund 70 »normalen« Sozialstationen seien jedoch nicht in der Lage oder auch nicht willens, »Schwerstpflege und Sterbebegleitung« rund um die Uhr zu leisten.

Zudem erschwerten rechtliche Grauzonen bei der Gabe von medikamentösen Infusionen und der Ersatzdroge Polamidon die Arbeit der Sozialstationen und der Aids-Pflegeangebote wie HIV e.V., SIDA e.V. und »ad hoc«. Viele Krankenschwestern scheuen das Risiko, die notwendigen regelmäßigen Infusionen bei Aids-Patienten vorzunehmen — schuld daran sind das Krankenpflegegesetz und ein »antiquiertes« Berufsbild. Auch wurde kritisiert, daß 14 der vom Bund geförderten Pflegestellen bislang nicht einmal mit MitarbeiterInnen besetzt worden seien.

Wie es weiter hieß, sei bereits jetzt eine angemessene Versorgung der rund 600 Aids-Vollbild-Erkrankten nicht mehr gewährleistet — und die Zahl der Erkrankten werde 1991 auf rund 1.000 ansteigen. Grund für die dramatische Lage seien auch Veränderungen im Krankheitsbild, sagte Dr. Arasteh vom Auguste-Viktoria- Krankenhaus. Durch aufwendige prophylaktische Behandlungen, Frühversorgung und eine Ausweitung diagnostischer Maßnahmen habe sich der Aufenthalt der Kranken in der Klinik verlängert. Gerade deshalb aber müsse das »Schöneberger Modell« — mit möglichst kurzen Liegezeiten im Krankenhaus — aufrechterhalten werden. Es sei aber gefährdet, weil die unterstützenden Aids-Schwerpunktpraxen der behandelnden Ärzte, die Sozialstationen und Selbsthilfeprojekte hoffnungslos überlastet und unterfinanziert seien.

Wenn die Bundesmittel für die Aids-Pflegekräfte 1991 eingestellt würden, erklärte gestern die Gesundheitsverwaltung, dann müsse die Arbeit über »erhöhte Pflegesätze« bezahlt werden. Hieran arbeite man zur Zeit; ob dann aber rund um die Uhr gepflegt werden könne, sei »fraglich«. kotte