„Das ländliche Amerika wird zum Armenghetto“

Nach drei Dürrejahren sind viele US-Farmer in ihrer Existenz bedroht/ In Iowa lebt ein Drittel der ländlichen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze/ Die Ursachen der Landwirtschaftskrise sind unter den Experten umstritten  ■ Von Monika Bäuerlein

Minnesota (taz) — Dave Baird führte die Besucher stolz an den Rand seines Maisfeldes in Stilwater, Minnesota. Vorsichtig beugt er einen Halm, bricht einen Kolben ab. „Tiefgelb und Körner ringsherum; so gehört sich das. Ist ein bißchen kurz, aber wenigstens ist was da.“ Wie viele andere Farmer im Mittleren Westen hat Baird dieses Jahr nach drei Dürrejahren zum ersten Mal gutes Getreide auf dem Feld. Doch ob sich die Ernte lohnen wird, ist deshalb noch lange nicht klar: „Ich weiß immmer noch nicht, ob ich diesen Winter Bankrott anmelde oder gerade nochmal daran vorbeischrammen kann.“

Die amerikanische Dürrekatastrophe ist aus den Schlagzeilen der Weltpresse verschwunden, doch damit ist die Farmkatastrophe noch längst nicht vorüber. In einem kürzlich erschienenen Buch untersucht der Forscher Osha Gray Davidson die inzwischen zehn Jahre alte Farmkrise und kommt zu dem Schluß, daß „das ländliche Amerika sich vor unseren Augen in ein großes Armutsghetto verwandelt.“

In der amerikanischen Alltagsmythologie ist der Mittlere Westen nach wie vor ein Bild des reinsten, besten Amerika: glückliche Familien (meist deutscher Abstammung), starke Männer mit Baseballmützen, die auf riesigen Traktoren Meere aus goldgelbem Korn pflügen und im Cafe am Ort Tips und Saatgut austauschen.

Mit der Wirklichkeit hat dieses Image heute weniger zu tun denn je. In Iowa, dem Staat in der Mitte des Mittleren Westen, lebt bis zu ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Die Mehrzahl der Menschen auf dem Land arbeitet nicht etwa auf Bauernhöfen im Familienbesitz, sondern in Geflügelfabriken, Getreideverladestellen und Riesenschlachthäusern. Und diejenigen, die ihre Farm noch nicht aufgegeben haben, brauchen mindestens einen, manchmal zwei oder drei zusätzliche Jobs, um über die Runden zu kommen.

Über die Gründe für diese trübe Wirtschaftslage streiten sich Politiker und Experten seit über zehn Jahren. Eins ist klar: die Farmer erhalten von den multinationalen Lebensmittelfirmen, die den Markt kontrollieren, zu wenig Geld, halb oder zwei Drittel soviel, wie sie investieren. Konservative Politiker und Freihandelsvertreter erklären, der Weltmarkt gebe einfach nicht mehr her; der einzige Weg, mit Gewinn zu wirtschaften, seien große Betriebe und intensiver Anbau. Außerdem seien billige US-Agrarexporte in die Sowjetunion, nach Europa, Japan und die Dritte Welt dringend notwendig, um das US-Außenhandelsdefizit auszugleichen; wenn die Vereinigten Staaten schon so viele Autos und Computer aus Japan einführten, müßten entsprechende Ausfuhren gewährleistet sein. Diese Linie liegt der Washingtoner Agrarpolitik zugrunde.

Kritiker ihrerseits behaupten, diese Politik habe die Landwirtschaftskrise beschleunigt, wenn nicht überhaupt ermöglicht. Weil die Regierung den Farmern bei niedrigen Agrarpreisen Zusatzzahlungen leiste, könnten die multinationalen Konzerne die Preise tief halten; Washington subventioniere so die Multis, nicht die Farmer.

Dave Baird findet diese Theorie einleuchtend. Er verfüttert einen kleinen Teil seines Getreides an das runde Dutzend Rinder auf der Farm. Den Rest verkauft er an Cargill Ine, einen der größten Getreidehändler und -exporteure der USA und der Welt. Von Cargill bekommt er ca. 200 Dollar pro Tonne; das deckt knapp die Hälfte seiner Kosten in Dünger, Pestiziden, Saatgut, Treibstoff und Lebensunterhalt. Für den Rest kann sich Baird dann an die Regierung wenden; Washington zahlt pro Jahr zwölf bis 15 Milliarden Dollar Unterstützung an Farmer, größtenteils als Ausgleich für niedrige Preise. „Für manche Farmer ist das genug“, meint Baird. „Die Älteren, die ihre Schulden abgezahlt habe, können über die Runden kommen. Aber für uns Jüngere ist es einfach ein Teufelskreis.“

Im Laufe der achtziger Jahre, als ein mittelgroßer Landwirtschaftsbetrieb nach dem anderen bankrott ging, schlossen sich Baird und andere Farmer in alternativen Bauernverbänden zusammen, um Druck auf Washington auszuüben. Diesen Sommer sahen sie ihre Chance gekommen, als der US-Kongreß den 1990er-Fünfjahresplan für Agrarausgaben beriet. Farmreformer forderten eine Anhebung der Mindestpreise für Fleisch und Getreide, „damit wir unser Geld vom Markt bekommen, nicht von der Regierung.“

Mit diesem Schritt hätten die Agrarpolitiker eine ganze Reihe Fliegen mit einer Klappe schlagen können, meint Helen Waller, eine Landwirtin aus Montana und Direktorin der National Family Farm Coalition.

„Es geht ja nicht nur um uns“, erklärt Waller. „Wenn wir zu niedrige Preise bekommen, müssen wir intensiver wirtschaften, mit mehr Dünger und Pestiziden. Das schadet der Umwelt und den Verbrauchern. Und dann geht das billige Fleisch und Getreide zu Dumping-Preisen in die Dritte Welt, so daß die Landwirte dort keine Chance haben.“

Waller meint, es sei Heuchelei, wenn die Bush-Regierung sich über Landwirtschaftssubventionen in Europa und anderswo bitter beklage; wenn überhaupt, sollten amerikanische Politiker das Preissystem im eigenen Land reformieren. (Das gleiche Thema hat bei den Gatt-Verhandlungen über ein internationales Tarif- und Handelsabkommen für heftige Diskussionen gesorgt; ein Vertragsentwurf wird Ende dieses Jahres erwartet.

In den USA haben die Reformer bisher wenig erreichen können. Der landwirtschafliche Fünfjahresplan, im September nach langen Beratungen verabschiedet, enthält im großen und ganzen die gleichen Schwerpunkte wie bisher: Förderung für Getreide- und Fleischexport und Ausgleichzahlungen an Farmer. Der einzige Unterschied zum bisherigen Plan ist, daß — zwecks Verkleinerung des amerikanischen Haushaltslochs — die Agrarausgaben insgesamt um über 30 Prozent gekürzt werden sollen.

Für Dave Baird heißt das Ergebnis: aus dem Regen in die Traufe. In Dürrezeiten, wenn die Ernte schlecht ist und die Preise hoch, erzielt er keinen Gewinn. Und in einem Jahr wie diesem, wenn der Mais endlich voll und gelb ist, sind die Preise zu niedrig. „Manchmal denk ich mir, vielleicht sollte ich die ganze Ernte einfach aufstapeln, mit Benzin übergießen und anzünden.“ Es wäre nicht das erste Mal; im vergangenen Winter heizten manche Farmer ihre Häuser mit Mais.