„Intertechna“—Stasi-Vermögen wird Privatkapital

■ Nachfolgeunternehmen aus dem Schalck-Golodkowski-Imperium geraten unter Verdacht des Betrugs

Berlin (taz) — Wer in Ost-Berlin einmal wirklich vornehm speisen wollte, ließ sich Wochen im voraus einen Tisch im noblen Restaurant „Stilbruch“ reservieren. Die idyllisch gelegene Diplomatengaststätte im Norden Berlins galt aber nicht nur bei den Gourmets in der DDR als gute Adresse. Im ersten Stock des Gebäudes — das vor wenigen Jahren mit Millionenaufwand renoviert wurde — residierte auch eine Firma des früheren Ministeriums für Staatssicherheit, die „Intertechna“. Sie war eine der Tarnfirma: Angebunden an den Auslandsspionagedienst „Hauptverwaltung Aufklärung“ und immer in enger Tuchfühlung mit der „Kommerziellen Koordination“ des früheren Chefdevisenbeschaffers und Stasi-Obersten Alexander Schalck-Golodkowski, beschaffte sie seit Ende der sechziger Jahre sogenannte „Schlüsseltechnologien“, die der Westen der DDR via Cocom-Liste vorenthielt. Die „Intertechna“ und ihre Nachfolgefirma „CVU-Imbag GmbH“ sind nun, nach der Auflösung des Stasi-Imperiums, in den Verdacht des gemeinschaftlichen Betruges zum Nachteil staatlichen Eigentums geraten.

Offiziell waren die Liegenschaften der Intertechna in den Listen des Staatlichen Komitees zur Auflösung der Stasi im Februar und im April noch als Diensteinheiten des Staatssicherheitsdienstes und seiner Nachfolgebehörde „Amt für nationale Sicherheit“ (AfNS) ausgewiesen. Folgt man den Eintragungen in den Listen der früheren Diestel-Behörde, wurde die Intertechna samt zugehörigen Objekten und Grundstücken in der Bahnhofstraße 1 und 4 bereits am 1. Februar 1990 an das Ministerium des Inneren (MdI), beziehungsweise an das Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) abgegeben. Über die weitere Verwendung, heißt es, sollten die Ministerien entscheiden.

Tatsächlich aber ging die Intertechna mit ihren Firmenkonten an den damaligen „VEB Robotron-Vertrieb Berlin“, der am 30. Juni 1990 in die „Computer-Vertriebs-Union Berlin GmbH“ (CVU) gewendet wurde. Die Intertechna wechselte ebenso den Namen. Aus der Tarnfirma zum Import von Embargowaren wurde die „CVU-Immobilien und Baumanagement GmbH“ (CVU-Imbag), nun Tochter der aus Robotron hervorgegangenen CVU.

Auf die Spur der Intertechna stießen Mitarbeiter des Berliner Innenmagistrates, als sie die Übernahme einer anderen Stasi-Tarnfirma durch den Robotronnachfolger CVU überprüften. Das Gelände, Gebäude und Inventar der Firma „Interport“ war der CVU vom staatlichen Komitee zu einem Bruchteil seines Wertes übereignet worden. Auch in diesem Fall sollen die Kontrolleure der Stasi- Auflösung bei dem Deal gezielt hintergangen worden sein.

Bei Recherchen in der CVU stießen die Magistratsmitarbeiter auf überraschendes: Gezahlt wurde dieses Mal überhaupt nicht. Die Intertechna soll, so behauptete jedenfalls der Geschäftsführer der Intertechna- Nachfolgerin CVU-Imbag, Wieland Kaiser, am 10. Juli 1969 von vier Herren im Auftrag der damaligen Kombinate Robotron, Zentronik und der Firma Interver GmbH gegründet worden sein. Zu einem nicht mehr belegbaren Zeitpunkt habe die Zentronik ihre Anteile auf die Robotron übertragen. Im Juli dieses Jahres hätte die Interver selbiges gemacht, und damit sei Robotron nun alleiniger Besitzer der Intertechna.

Alle dem Magistrat vorliegenden Schriftstücke aus den Jahren 1987-1990 weisen dagegen Grundstück und Aufbauten als Eigentum der Versorgungseinrichtung des Ministerrates (VEM) aus. Der Rechtsträgernachweis datiert vom 10. Dezember 1987 — ein Nutzungsvertrag für das über 2.800 Quadratmeter große Grundstück wurde zwischen VEM und Intertechna am 1. Mai 1988 abgeschlossen.

Die Magistratsmitarbeiter stießen auf immer weitere Ungereimtheiten. Geschäftsführer Kaiser erklärte, daß die Intertechna zu Zeiten seines Vorgängers Herbert Brosch lediglich fünf oder sechs Mitarbeiter angestellt habe. Heute beschäftigt die CVU-Imbag nach Kaisers Worten aber etwa 90 Mitarbeiter — zwischenzeitlich sollen es an die 300 gewesen sein. Im Berliner Magistrat stellt man sich nun die Frage, ob die CVU-Imbag heimlich um weitere bisher unbekannte Betriebsteile oder Einrichtungen erweitert wurde. Eine andere Erklärung wäre auch, daß die Intertechna im Zuge der Stasi-Auflösung den alten MfS-Leuten sogar als „Kaderwaschanlage“ diente. Von den einstigen MfS-Mitarbeitern, beteuert allerdings Geschäftsführer Kaiser, sei heute nur noch der Hausmeister beschäftigt.

Unklar bleibt bisher auch, was mit den Konten der Intertechna passierte. Gottfried Opitz, Prokurist der CVU, will von den Geschäftskonten der Intertechna nichts gewußt haben. Er erklärte Ende September lediglich, einmal Bargeld in Höhe von 33.000 Mark aus einem Safe der Intertechna genommen und auf ein Konto der CVU eingezahlt zu haben, mehr nicht. Geschäftsführer Kaiser wartete am selben Tag mit einer anderen Version auf: Die Umstellung der Intertechna-Konten von Mark der DDR auf DM sei anläßlich der Währungsunion von Prokurist Opitz veranlaßt worden.

Völlig dubios bleibt auch die Rolle, die das staatliche Komitee zur Auflösung der Stasi im Fall der Intertechna gespielt hat. Die Vorgänge waren dort weitgehend bekannt. So hatte Komitee-Leiter Günter Eichhorn schon am 27. März dem Betriebsdirektor des VEB Robotron- Vertrieb Berlin schriftlich seine Zustimmung zur Übernahme der Firmen Interport und Intertechna zugestimmt. Zur Vorbereitung des Rechtsträgerwechsels sei „eine Vereinbarung bis zum 10. April vorzulegen“. Die Eintragungen in die Liste des Komitees, wonach eine Übergabe an das MdI, beziehungsweise MfNV durchgeführt wurde, seien die reinste Augenwascherei.

Auch die Existenz der Geschäftskonten war dem Komitee bekannt. Abteilungsleiter Wagner, für die finanziellen Aufgaben des Komitees zuständig, bat am 26. Juni mit Hinweis auf die bevorstehende Währungsunion schriftlich beim Stellvertreter Eichhorns um die Unterlagen zu den DM- als auch Ost-Mark-Konten. Weil das staatliche Komitee „als Rechtsnachfolger“ berechtigt sei, über das Konto der Intertechna bei der Deutschen Handelsbank (Nr: 565-60-011-025) zu verfügen, forderte Wagner am 16. Juli schließlich bei Komiteeleiter Eichhorn die Unterlagen nochmal an. Bis zur Entarnung der Stasi-Firma Interport durch Hinweise aus der Bevölkerung am 10. August geschah offenbar nichts. Dem seltsamen Gebaren des staatlichen Auflösungskomitees mußte erst der Innenmagistrat in Berlin mit einer Strafanzeige ein Ende setzen. Jetzt ermittelt die Kriminalpolizei.

So freigiebig wie das Auflösungskomitee beispielsweise der CVU alte Stasi-Liegenschaften zuschanzte, so zugeknöpft zeigte es sich, wenn kommunale Träger Anträge stellten. Zuletzt beschwerte sich am 21. September der Leiter des Rechtsamtes im Berliner Bezirk Hohenschönhausen. Dem Bezirksamt seien bis zum heutigen Tag die Hände gebunden, wenn es darum gehe, die Dienstobjekte des MfS einer dem Stadtbezirk erforderlichen Nutzung zuzuführen. Die Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung, in Übereinstimmung mit dem Berliner Magistrat getroffen, würden durch die Verfahrensweise des Komitees „blockiert“. Dringende Bitten des Bürgermeisters, klagte Rechtsamtsleiter Heidrich, sind von Komiteeleiter Eichhorn überhaupt nicht beantwortet worden.

Ein weiterer Komplex beträfe auch die früheren Betriebsstätten des MfS, „in denen sich neu gegründete GmbHs, in den Führungsetagen rekrutierend aus früheren Mitarbeitern dieser ehemaligen MfS-Betriebe, breit machen“. Diese Betriebsstätten seien „der Einflußnahme und Verfügung der Kommune komplett entzogen“. Sie dienten im wesentlichen nur „der Versorgungssicherung ehemaliger MfS-Mitarbeiter auf einem Niveau, das annähernd bundesdeutschen Gehaltniveaus entspricht“. Heidrichs Fazit: Die Zusammenarbeit des Bezirkes mit dem staatlichen Komitee stelle sich dem Amt so dar, „daß die Privilegien derer, die aufgrund ihrer Tätigkeit im ehemaligen MfS bereits privilegiert waren, auch nach der Wende privilegiert bleiben“. Wolfgang Gast