„Das reicht gerade für einen Traktor“

■ Ostdeutsche Landwirte haben mit einem Familienbetrieb wenig im Sinn/ Mit Startbeihilfen wird gelockt

Berlin (taz) — Man werde den Bauern in Ostdeutschland nicht über ihre Köpfe hinweg Dinge aufdrängen, die im Westen für richtig gehalten werden. Das verkündete Ende September Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle und bekräftigte gleichzeitig, daß es nicht geplant sei, die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) zu zerschlagen. Wer die Landwirtschaft auf diese Weise weiterführen wolle, müsse allerdings mit Kriterien leben, die für die gesamte europäische Landwirtschaft gelten. Absolute Priorität haben Privatanteile der Landwirte, die nach 1949 Land in die LPG eingebracht haben.

Die Agrarpolitik der DDR war durch die kollektive Nutzung von Arbeit, Boden und Maschinen geprägt. Während bis zum Jahre 1967/68 eine Betriebsgröße zwischen 800 und 1.500 Hektar dominierte, entstanden danach spezialisierte Betriebe der Pflanzen- und Tierproduktion von durchschnittlich 4.000 bis 6.000 Hektar und 1.000 bis 3.000 Großvieheinheiten. Außerdem bildeten sich noch die Volkseigenen Güter (VEG), die verschiedenen staatlichen Ebenen zugeordnet waren. Diesen Strukturen hatten sich die in der Landwirtschaft Beschäftigten unterzuordnen. Ende der 80er Jahre bewirtschafteten 1.200 Betriebe der Pflanzenproduktion rund 6 Millionen Hektar. In einem solchen Betrieb mit 5.000 Hektar waren durchschnittlich 325 bis 400 Bauern beschäftigt. Rund 3.000 Betriebe züchteten Tiere. Die Zahl der Arbeitskräfte in der Tierproduktion betrug etwa die Hälfte.

Der Boden ist regional sehr unterschiedlich fruchtbar: In Sachsen und Thüringen (bis auf den Suhler Raum) herrschen gute Bedingungen vor, die sich zum Norden hin, das heißt, in den ehemaligen Bezirken Schwerin, Neubrandenburg, und Potsdam, verschlechtern.

Aber gerade im Norden dominiert die Landwirtschaft und auch hier wurden entweder nur Pflanzen angebaut oder Tiere gezüchtet. Von dieser Teilung müsse man so schnell wie möglich wegkommen, erklärt der Geschäftsführer des Landesbauernverbandes Mecklenburg-Vorpommern, Siegfried Mertins. Er glaubt, daß die LPGs durchaus Überlebenschancen haben, wenn sie in kleineren, überschaubaren Einheiten produzieren und sich dann dem Verbrauch anpassen.

Inwieweit die individuelle Landwirtschaft in der ehemaligen DDR Fuß fassen kann, vermag Mertins noch nicht abzusehen. Jeder Bauer könne zwar Land bekommen, aber mit einer Anschubfinanzierung von 20.000 DM lasse sich nicht viel ausrichten. „Das reicht gerade für einen Traktor“, schätzt Mertins.

Jene Bauern, die sich zu einer eingetragenen Genossenschaft zusammenschließen wollen, erhalten ein zinsverbilligtes Darlehen (fünf Prozent) von 300.000 DM. Dabei muß der Landwirt selbst mindestens drei Prozent Zinsen tragen. Wie der parlamentarische Staatssekretär beim Bundesernährungsminister, Wolfgang von Geldern, bekräftigt, könne auch ein öffentliches Darlehen bis zu 160.000 Mark gewährt werden. Dieses Angebot richte sich an Landwirte, die einen bäuerlichen Familienbetrieb im Haupt- oder Nebenerwerb betreiben wollen. Dabei werde nicht zwischen Ex-DDR-Bürgern und Bundesrepublikanern unterschieden.

Aber es gibt wenig Gründe für die ostdeutschen Landwirte, den Familienbetrieb auf sich zu nehmen. Als LPG-Mitglieder hatten sie geregelte Arbeitszeiten, freie Wochenenden und Urlaub. Davon kann der West-Bauer nur träumen. In den LPGs wird inzwischen ebenso entlassen, wie überall in der ehemaligen DDR. Knapp ein Viertel der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte sind inzwischen arbeitslos und haben keine Alternative. baep