Vor dem Paragraphen 218 sind nicht alle gleich

■ Studie über „Die ungleiche Praxis des 218“ belegt: Der Abtreibungsparagraph bringt weder Rechtsgleichheit noch Sicherheit

Berlin (taz) — Der geltende Paragraph 218 hat weder Rechtsgleichheit noch Rechtssicherheit gebracht. Je nach Bundesland und Region trifft Frauen die Androhung der strafrechtlichen Sanktion völlig unterschiedlich. Um sich legal verhalten zu können, müssen Frauen oft hunderte von Kilometern fahren, mehrere ÄrztInnen aufsuchen oder finanzielle Belastungen in Kauf nehmen. Dies belegt anschaulich die Studie „Die ungleiche Praxis des § 218 in der Bundesrepublik Deutschland“, die von Renate Sadrozinski, Mitbegründerin des Familienplanungszentrums in Hamburg, jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Ihre Untersuchung, in Zusammenarbeit mit dem Frauenrat der Heinrich-Böll- Stiftung entstanden, stellt damit die erste detaillierte „Abtreibungslandkarte“ der Bundesrepublik dar.

Da ist zunächst die Zwangsberatung, die Frauen vor große Probleme stellen kann. Denn in weiten Teilen Westdeutschlands ist ein plurales Beratungsangebot nicht sichergestellt. Problemgebiete sind nicht nur Bayern und Baden-Württemberg, sondern auch Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Aber auch in Nordhessen müssen Frauen oft lange Wege zurücklegen, wenn sie eine nichtkonfessionell gebundene Beratung wollen. Ausschlaggebend für die regionalen Unterschiede sind neben politischen Konstellationen vor allem der Einfluß der katholischen Kirche. Für die Frauen hat das sehr konkrete Folgen. Denn wer von der Beraterin zum Beispiel die Adresse von ÄrztInnen oder Kliniken erfahren möchte, ist bei den katholischen Stellen schlecht aufgehoben. Obwohl der Paragraph 218 die Weitergabe dieser Informationen ausdrücklich zuläßt, erlauben die Richtlinien der deutschen Bischöfe es den MitarbeiterInnen nicht, diese Auskünfte zu erteilen. In Bayern aber gibt es nur in München und Augsburg Pro Familia-Stellen. Im Regierungsbezirk Niederbayern liegen 23 Städte, wo Frauen mehr als 50 km fahren müssen, um nichtkonfessionell beraten zu werden.

Auch die Möglichkeit, eine Ärztin für die Indikationsstellung zu finden, variiert sehr. Nach der Studie erhalten rund 40 Prozent der Frauen keine Indikation beim ersten Arztbesuch. Zudem hat die Einschüchterung der ÄrztInnen seit den Memminger Prozessen zugenommen. Als ein Indiz dafür kann gewertet werden, daß in Bayern 26 Prozent aller Indikationen zur Gruppe der „unverfänglichen“ medizinischen Indikation gehören, während es in Hamburg nur 8 Prozent sind.

Eindeutig ist der Trend zum ambulanten Abbruch: Rund 80 Prozent aller Abtreibungen werden heute in Arztpraxen, Tageskliniken oder Familienplanungszentren durchgeführt. Dennoch erlauben die bayerischen, baden-württembergischen und (noch) die niedersächsischen Richtlinien Abtreibungen nur in Krankenhäusern mit mehrtägigem stationärem Aufenthalt. In Baden- Württemberg fahren rund die Hälfte der Frauen in ein anderes Bundesland, in Rheinland-Pfalz gar 60 Prozent. Sadrozinski kritisiert dabei heftig den „irreführenden und verharmlosenden“ Begriff „Abtreibungstourismus“: „Tourismus bezeichnet normalerweise die Reisetätigkeit von Menschen, die sie freiweillig, zu ihrer Erholung (..) unternehmen. Beim Abbruch handelt es sich aber um Zwangsreisen, die die Frauen unter erheblichen Kosten, Befürchtungen und häufig Geheimhaltungswünschen antreten müssen.“ Helga Lukoschat

Vorbestellungen bei: Heinrich- Böll-Stiftung, Unter Krahnenbäumen 9. 5000 Köln 1, 0221/160510