Ökologie kein Wahlthema

■ Zugewinne der CDU in besonders industrialisierten Gebieten der fünf neuen Länder/ Regionale Unterschiede bei der Stimmabgabe/ In Greifswald nur 2,9 Prozent für die Grünen

Berlin (dpa/taz) — Die BürgerInnen in den fünf neuen Bundesländern haben eine stark regional ausgerichtete Wahlentscheidung getroffen. Gewinne und Verluste der Parteien sind sehr länderspezifisch ausgefallen. Auch die verschiedenen Bevölkerungsgruppen haben sich in den Ländern unterschiedlichen Parteien angeschlossen.

Die Detailanalysen in den Ländern Thüringen und Sachsen zeigen, daß Gewinne und Verluste verschieden zu lokalisieren sind. In Sachsen hat die CDU in einigen Großstädten kräftig zugelegt: in Dresden um 14,1, in Chemnitz um 17,8, in Görlitz sogar um 22,4 Prozent. Die SPD ist in den sächsischen Städten weiterhin schwach vertreten, dagegen im ländlichen Bereich nicht soweit abgeschlagen wie bislang. In Thüringen sind die Verluste der CDU in den Landgemeinden besonders ausgeprägt (über acht Punkte), vor allem zugunsten der SPD.

Für beide Länder gilt, daß die CDU in den besonders industrialisierten Gebieten Spitzenwerte erreicht: in Sachsen 57,2, in Thüringen 48,3 Prozent. Erstaunlich viele Stimmen bekamen in einzelnen Kreisen Thüringens die Bürgerbewegungen und Grünen. In Stadtroda/Jena und Gera beispielsweise waren es jeweils 7,3 Prozent. Erwartungsgemäß hoch lagen auch die Ergebnisse in Leipzig. Dort erhielten sie zwischen 7 und knapp 9 Prozent der Stimmen.

In Sachsen-Anhalt fällt der kräftige Anstieg der FDP auf, die landesweit jetzt bei 13,5 Prozent liegt und die PDS (12 Prozent) deutlich hinter sich gelassen hat; in Halle — der Heimatstadt von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher — ist die FDP sogar stärker als die SPD.

Brandenburg ist das Land mit den stärksten Zuwachsraten für die SPD (über acht Punkte) und relativ kräftigen Verlusten der CDU (im Schnitt über vier Punkte). Die SPD hat sowohl in ländlich wie in industriell geprägten Regionen den ersten Rang inne. Der Zuwachs der Sozialdemokraten war (mit 12,3 Punkten) am stärksten in den Industrieschwerpunkten und in den landwirtschaftlichen Gebieten (9,5 Prozent). Bei den Industriearbeitern sind sowohl Bewegungen von der PDS zur SPD als auch von der CDU zur SPD zu beobachten. Klare Mehrheiten hat die Sozialdemokratie in Brandenburg und Potsdam errungen, mit 15 bzw. 20 Punkten Vorsprung vor der CDU.

Die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern verlief nochmals nach eigenen Regeln. Für die CDU und die FDP sind leichte Zunahmen, für die SPD relativ bescheidene Gewinne zu verzeichnen. Die PDS hat 7,2 Punkte verloren, fast ein Drittel ihres Bestandes, und ist nirgendwo mehr auf Platz eins. Die Verluste sind besonders auffällig auf dem flachen Lande, wo die SPD überdurchschnittlich zulegen konnte. Interessant sind die Unterschiede zwischen den beiden Landesteilen: In Vorpommern verzeichnet die CDU einen deutlichen Zuwachs (6,3 Punkte) und die PDS überdurchschnittliche Einbußen (10,1). Die Bürgerbewegungen und Grünen haben insgesamt im Norden besonders starke Resonanz gefunden, sind aber nicht in den Schweriner Landtag eingezogen, weil sie gleich mit drei verschiedenen Listen (Die Grünen, Neues Forum, Bündnis 90) angetreten waren.

Besonders auffällig ist, daß offenbar die konkrete soziale oder ökologische Situation vor Ort das Wählerverhalten kaum beeindruckt hat. Im Kreis Bitterfeld beispielsweise, wo die Chemieindustrie große Umweltschäden verursacht hat, haben die Grünen lediglich zwischen drei und viereinhalb Prozent bekommen. Der Wahlgewinner ist auch hier die CDU mit rund 40 Prozent. Greifswald, Universitätsstadt und mit einer verrotteten Atomkraftanlage bestückt, hat nur mit 2,9 Prozent Grün gewählt. Auch die Kreise Weißwasser und Hoyerswerda in Sachsen, Standort des Kraftwerkes Boxerg und vom Braunkohletagebau geschädigte Region, bekamen die Grünen nur zwischen 3,9 und 5,6 Prozent.

Auch die von Arbeitslosigkeit und sozialer Unsicherheit direkt bedrohten Gegenden sehen nicht unbedingt in der SPD eine Vertreterin ihrer Interessen. Im sächsischen Riesa, wo im großen Stahl- und Walzwerk die Leute um ihre Arbeitsplätze bangen, bekam die CDU 48,4, die Sozialdemokraten nur 23,9 Prozent der Stimmen. bf