Oskar, Gorbi und der Herrgott

■ Hans-Jochen Vogel als Wahlkampf-Modell vor Bremer SPD-Funktionären

„Wer an dieser Partei noch nicht richtig krank war, der hat sie nicht richtig wahrgenommen.“ Hans-Jochen Vogel wird schon wissen, was er sagt. Und er sagt das zur Freude von gut 2O0 Bremer SPD- FunktionärInnen, die am Donnerstag abend in den großen Sendesaal von Radio Bremenm gekommen waren, um sich vom Vorsitzenden in die richtige Wahlkampflaune versetzen zu lassen.

Denn die Stimmung, die ist nicht so. Die Wahlergebnisse in den neuen Bundesländern und in Bayern mies, der Vereinigungskanzler aus Oggersheim überlebensgroß, wo soll da die Hoffnung herkommen, nach dem 2. Dezember wieder Regierungspartei zu sein? „Herrgott nochmal, wie oft war die Welt sechs Wochen später wieder in Ordnung, Herrgott nochmal“, sagt Vogel und rät den Funktionären: „Geben Sie den Wählerinnen und Wählern die Antworten, die sich aus dem heutigen Abend herleiten lassen.“

Und die Antwort heißt immer wieder Oskar, Oskar und nochmal Oskar. Oskar zeigt vorbildliches Engagement, Oskar bekommt immer mehr Resonanz in der DDR, Oskar war in der Fernsehdiskussion souverän, überhaupt: „Was Oskar vorschlägt, kann mit bestem Gewissen vertreten werden“, denn: „Oskar hat recht.“ Oskar, zum Beispiel, war der erste, der gesagt hat, daß der ökologische Umbau der Industrie nur möglich ist, wenn umweltschädliche Produkte teurer sind als andere.

Und weil Oskar und die SPD eigentlich ganz prima sind, beantwortet Vogel seine rhetorische Frage „Müssen wir was anders machen?“ mit einem deutlichen Nein. Der soziale Aspekt der deutschen Einheit, der ökologische Umbau der Industriegesellschaft, die Gleichstellung der Frau, das sollen die Themen sein, mit denen die Genossen den Genossen Trend wieder zurückgewinnen sollen.

Helmut Kohl kommt bei Hans-Jochen Vogel erst gar nicht vor. Doch den bevorstehenden Wahlkampfhit der CDU — Gorbatschow, der Kaukasus und die Strickjacke — darauf hat Vogel seine Antwort. Denn Gorbatschow als Friedensnobelpreisträger, das ist eigentlich das historische Verdienst der SPD. Ohne „Willys“ Ostpolitik, ohne die KSZE-Konferenz Anfang der 70er Jahre, da wäre Gorbatschow gar nicht möglich gewesen. Und wer war dagegen: die albanischen Kommunisten, die italienischen Neofaschisten und die CDU — „das wird man doch noch sagen dürfen.“ Wahlkampftip also: „Der Friedensnobelpreis für Gorbatschow gibt Anlaß, an den Friedensnobelpreis für Willy zu erinnern.“

Die Funktionäre nehmen all das mehr zur Kenntnis, der große Applaus bleibt aus. Vogel geht, Zeit für den Tagesordnungspunkt Aussprache. Wortmeldung: Keine. hbk