Im- und Exportläden guter Hoffnung

■ Die bevorstehende Aufhebung des Visumzwanges für Polen rettet die Läden auf der Kantstraße vor dem Aus/ Seit dem 3. Oktober Umsatzrückgänge bis zu 95 Prozent. Viele Läden mußten schließen

Charlottenburg. »Ich fühle mich wie zu Weihnachten«, sagt der Besitzer des Im- und Exportladens Sinex in der Schlüter- Ecke Kantstraße, »das ist die beste Nachricht des Jahres.« Überglücklich ist er darüber, daß die Bundesregierung vermutlich noch in diesem Jahr die Visumpflicht für Polen aufheben will. Er will sogar schon ein Datum wissen, obwohl die Bonner Vertragsverhandlungen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki erst im November beginnen. Am 7. November soll es soweit sein, agitiert er sich in gute Hoffnung, ab dann werden wieder polnische Kunden in seinen Laden strömen. Die Nachricht rettet den Laden vor dem Aus, denn seit dem 3. Oktober stockt das Geschäft, statt 300 Fernsehern verscherbelt er gerade 20 Geräte pro Tag. »Die Einnahmen decken nicht einmal die Miete«, sagt M. Sinowatz, »uns geht es momentan fürchterlich, wir zahlen für jedes Gerät zu.«

So wie diesem Im- und Exportladen geht es allen Tax-free-Läden auf der Charlottenburger Kantstraße. Mit der Einführung der Visumpflicht für polnische Bürger am 3. Oktober stürzten die Einnahmen in den Keller. Übereinstimmend werden Umsatzrückgänge von 90 bis 95 Prozent angegeben. Fünf der 28 ehemaligen Hi-Fi- und Elektronikgeschäfte haben bereits geschlossen, sieben weitere nur stundenweise geöffnet. Die restlichen warten auf bessere Zeiten, hoffen auf Großhändler, die nicht kommen. »Wenn die Nachricht über die Abschaffung der Visumpflicht nicht gewesen wäre«, erzählt der russische Besitzer des »Bipa Im- und Export«, »hätten wir am 1. November dichtmachen müssen.« Jetzt hofft er, daß die Verhandlungen zügig über die Bühne gehen, denn Reserven, um bis Ende des Jahres durchzuhalten, besitzt dieser Laden nicht. Die täglichen Umsätze wären zwar »enorm« gewesen, aber die »Gewinnspannen minimal«. Zwei der vier russischen Mitarbeiter seien bereits seit dem 10. Oktober entlassen, ein weiterer arbeitet kurz.

Einen Umsatzrückgang von 90 Prozent meldet auch das bislang größte und umsatzstärkste Geschäft »Pro-Teach«, Kantstraße 137. Früher drängelten sich ab morgens um acht die Massen vor den TV- und Videogeräten, jetzt herrscht gähnende Leere, die wenigen Interessenten werden aufmerksam bedient. Jeder Kunde ist ein König. Die deutschen Chefs hatten noch am Montag die Hiobsbotschaft einer voraussichtlichen Schließung zum neuen Jahr angekündigt, denn die Miete von rund 15.000 Mark drohte die Gewinne der vergangenen Monate aufzufressen. Gestern wurde umdisponiert. Über ein Fernsehstandbild flimmert jetzt die aufmunternde Meldung Richtung Kasse, und die Stimmung der Mitarbeiter, durchweg deutsch-polnische Aussiedler, ist wieder bestens. Ab sofort soll alles für den neuen/alten Kundenansturm vorbereitet werden. Die meterhoch gestapelten Sony- Pappkartons sollen aus den Verkaufsräumen verschwinden, hübsche Regale installiert, farbige Prospekte in russisch und polnisch gedruckt werden. Gar Erweiterungspläne werden geschmiedet, ein Joint- venture mit mehreren Läden in Posznan und Wroclaw wäre denkbar.

Ganz im Gegensatz zu den sich wieder freuenden Im- und Exportläden auf der Kantstraße befürchtet der CDU-Fraktionsvorsitzende Buwitt das Schlimmste. »Die Aufhebung des Visumzwangs kann erst dann in Betracht kommen, wenn sichergestellt ist, daß die katastrophalen Verhältnisse, die in Berlin im vergangenen Jahr herrschten, für die Zukunft ausgeschlossen sind«, meldete er im Pressedienst seiner Partei. Ausszuschließen seien neue Reibereien auf der Kantstraße nicht, bestätigt ein Mitarbeiter der »City-Electronic», »aber warum stellt die Regierung nicht mit unseren Steuergeldern einige Klocontainer in die Gegend?«. aku