Zu wenig Seitenblicke

■ Francesco Rosis „Palermo vergessen“

Links ein stinkender Müllhaufen, rechts ein stinkender Müllhaufen und in der Mitte ein sauberes Paar. Komponiert wie eine Plastik in Müll, aber genauso künstlich. Francesco Rosi kennt Palermo nicht mehr oder er hat es nie gekannt. So adrett derangiert mit symmetrischen Rauchschwaden aus den Gullis, neben denen eine ebenso ordentliche Unordnung herrscht, sieht Palermo nicht aus, das spürt auch der Zuschauer, der noch nie dort gewesen ist. Rosis sizilianische Stadtkulisse wirkt so unnatürlich, wie man sich italienische Städte vorstellt, die mancher amerikanische Regisseur im Studio am Reißbrett entwirft — bis ins Detail authentisch und doch klinisch tot.

Vielleicht liegt es auch daran, daß sich das spülmaschinenfeste Dauer- Lächeln des Bürgermeisterkandidaten Mr. Carmine Bonavia aus New York, der Wahlkampf und Flitterwochen in einem Abstecher nach Palermo kombiniert, wie ein Schleier über die Bilder legt und sie zum Kalenderblatt-Panorama gefriert. Der propere Habitus des Amerikaners färbt ab, zum Nachteil der Räume, die ihrer Wirkung beraubt werden. Sobald die Atmosphäre eines Raumes beginnt, eine eigene Sprache zu finden, zum Beispiel durch das Schlagen der Fensterflügel oder ein herabfallendes Blatt, tritt Mr. Saubermann in Erscheinung, und alles ist dahin.

Francesco Rosi hat das Thema der subtilen Verflechtungen der Mafia mit der Politik und dem gesellschaftlichen Leben im italienischen Süden immer wieder zum Thema seiner Filme gemacht, doch sein „Kino der kriminalistischen Recherche“, zum Beispiel „Der Fall Mattei“ über den mysteriösen Flugzeugabsturz eines Wirtschaftsmanagers, bleibt hier unerreicht. Viel eher noch wirkt Rosis neuerliche Beschäftigung mit der Mafia wie der hundertste Aufguß zum Thema Macht und Moral — dazu noch oberflächlich und unglaubwürdig erzählt.

Rosis Held, der von James Belushi verkörperte Kandidat für das Amt des New Yorker Bürgermeisters, ist ein Mann voller Ideale, der die Inkarnation des Guten so rein und ungebrochen darstellt, daß man einen Augenblick meinen könnte, hinter dieser Fassade muß irgendwann ein schlechter Kern zum Vorschein kommen. Aber nein, Rosi schickt seinen naiven Dressman gegen die Unterwelt an die Front — als ahnungslosen Kavalier, der immer noch mit verwundert verdrehten Augen vor sich hinträumt, nachdem ihm die Mafia einen fingierten Mord in die Schuhe geschoben hat und ihn somit unter Druck setzen kann.

So einfach wie die Handlung ist auch Rosis Botschaft: Korruption und Machtmißbrauch sind die Fundamente der Gesellschaft. Sie in Frage zu stellen, führt ins politische Abseits. Um diese Erkenntnis zu verbreiten, schickt Rosi uns fast zwei Stunden auf Stadtrundfahrt durch Palermo und malträtiert das Auge mit einer Motivauswahl, die bisweilen nur wenig über der Qualität eines Heimvideofilms liegt.

Damit verleidet er einem dann auch noch die wenigen schönen Bilder, die eine Ahnung von Rosis ehemals lebendiger Leinwandarbeit vermitteln. Immer dann, wenn Rosi das Abseitige und nicht das Naheliegende sucht, gewinnt seine bedächtige Erzählstruktur an Eindringlichkeit. Da ist zum Beispiel ein amerikanischer Gast, der wegen eines „Urteils“ der Mafia zu lebenslanger Haft in seinem Hotelzimmer verurteilt ist und umgelegt werden wird, sobald er es wagen sollte, über die Schwelle des Hauses zu treten.

An einer anderen Stelle gelangt James Belushi in eine Klosterkirche, die in einem Seitentrakt einen Saal voller Konzertflügel beherbergt. Die Kindheitserzählungen einer Bekannten vor Augen überredet er die Nonnen, für ihn ein Menuett zu tanzen. Das sind Augenblicke, die auch der Zuschauer festhalten will, kleine Geschichten neben der Geschichte, die mehr erklären als der ganze Film. Rosi bemüht sich, das veränderte Antlitz der modernen Mafia zu zeichnen, und richtet sein Augenmerk allein auf die multinationalen Verbindungen der Verbrecherorganisation. Dabei entgeht ihm völlig, daß auch hier das Eigentliche neben dem Weg liegt, den er eingeschlagen hat. Ab und zu verschwendet er einen Blick zur Seite — einen, der sich lohnen würde. Aber Rosi sieht nur das Ziel und erkennt deshalb fast nichts. Christof Boy

Francesco Rosi: „Palermo vergessen“. Buch: Rosi, Tonino Guerra und Gore Vidal nach dem gleichnamigen Roman von Edmond Charles-Roux. Mit James Belushi, Philippe Noiret, Mimi Rogers u.a.; Regie: Francesco Rosi. Italien/ Frankreich 1989, 100 Min.