Ein Festival der Frauen

Zur 39. Mannheimer Filmwoche  ■ Von Jürgen Berger

Acht Frauen. Sie sind sich fremd, aber dann streikt der Bus. Die „Company of Strangers“ hängt im Wald fest. Das Besondere am Film der Kanadierin Cynthia Scott: Alle acht sind Laiendarstellerinnen, die älteste ist 89 Jahre alt. Die Dialoge sind pointiert, von der Regisseurin geschrieben, klingen aus dem Mund der Frauen aber, als würden sie schon ein Leben lang so miteinander reden. Ein außergewöhnlicher Film über acht Charaktere, ihre Eigenheiten, Ängste, ihre gelöste Altersklugheit. Eigentlich sollten laut Drehbuch Spannungen zwischen den Frauen entstehen, aber die Frauen waren zu entspannt. Sentimental ist der Film nie, nur hin und wieder zu idyllisch. Cynthia Scott bekam den großen Preis der Filmwoche (20.000 Mark), in der Jury saß auch Alexander Askoldov (Regisseur der Komissarin).

Ein Rätsel, wo die Jury saß, als Lola lief, der erste Spielfilm der mexikanischen Regisseurin Maria Novara: Mexiko City, 1985, nach dem Erdbeben. Skelettierte Häuser. Lola ist eine gute Mutter, ihre sechsjährige Tochter Ana ein glückliches Mädchen. Dann läßt Lola die Tochter bei der Großmutter zurück. Sie hat zu kämpfen, an erster Stelle mit ihrer Sexualität. Gegen Ende sitzt Lola am Strand, im Meer badet ein alter Mann und ist so glücklich, daß er nicht merkt, wie es ihm die Unterhose herunterzieht. Ein fremdes Bild, als hätte es sich unter die anderen Bilder verirrt. Zu selten sieht man solche Bilder, auch in Maria Novaras Film. Lola ist vom närrisch- glücklichen Alten und seiner Familie am Strand so beeindruckt, daß sie zur Tochter zurückgeht. Bei der Preisverleihung wurde dieser Erstling mit keinem Wort erwähnt.

Die diesjährige Filmwoche war ein Festival der Regisseurinnen, und deren Filme kreisten um Antinomien: Geborgenheit und Freiheit, Familie und Abenteuer, Sexualität und Mutterliebe. Die alten Damen reden darüber, Lola steht mitten in der Brandung und auch die Ungarin Krisztina Deak, Absolventin der Prager Akademie für Film- und Fernsehkunst, hat sich mit Esthers Buch daran versucht: Während des Zweiten Weltkriegs muß Esther vor der Gestapo fliehen. Sie folgt einem Mann und läßt die Tochter zurück, die im KZ umkommt. Nach dem Krieg wird das Tagebuch der Tochter zur Projektionsfläche für Esther. Sie will der eigenen Schuld entkommen, die Ehe zerbricht, Esther bringt sich um. Daß Krisztina Deak am Ende Blut spritzen läßt, stört ihren Film empfindlich — eine behauptete Radikalität, die sich sonst nirgends findet. Esthers Geschichte ist gekonnt konventionell erzählt und wurde von Istvan Szabo produziert.

Eine richtige Entscheidung der Jury ist denn auch, daß sie den „Josef-von-Sternberg-Preis“ für den künstlerisch anspruchsvollsten und mutigsten Film nicht vergab. Denn was für Esthers Buch gilt, war ein allgemeines Merkmal der Filmwoche. So anspruchsvoll die erzählten Geschichten teilweise waren, so kleinmütig der Rückzug der Filmemacher auf ästhetisch sicheres Terrain in der filmischen Umsetzung. Aufstörende Bilder fehlten fast vollständig, was besonders auffällt, wenn man sich wie Elaine Proctor mit seiner Story so weit vorwagt. Die Südafrikanerin war Schauspielerin am Johannesburger „Market Theatre“, das mit seinen Theaterstücken gegen die Apartheid antritt. On the Wire ist ihr Abschlußfilm des Filmstudiums — ein Versuch, die Psyche des südafrikanischen Herrenmenschen anhand einer Außenseitergeschichte zu erkunden. Ein Berufssoldat kehrt auf seine Farm und zu seiner Frau zurück, kann sich aber nicht mehr in die bigott-calvinistische Welt einfügen. Im Bett braucht er härtere Kost, an der auch die Frau Gefallen findet. Sie fallen auf und werden geächtet. Auch hier am Ende der Selbstmord, diesmal des Mannes.

In den letzten Jahren hat die Mannheimer Filmwoche — neben Berlin das älteste Festival Deutschlands — beständig an Bedeutung verloren, was nicht nur am viel zu kleinen Budget liegt und nicht nur daran, daß die Filmwoche seit Glasnost nicht mehr wichtigstes Forum des osteuropäischen Films ist. Ausschlaggebend ist auch, daß immer wieder geschwätzig-eitle Filme wie Ken Adam, Production Designer im Wettbewerb auftauchen: Andreas- Michael Velten wollte ein Porträit des Ausstatters der Kubrik- und Bond-Filme drehen, heraus kam ein unfertiges öffentlich-rechtliches „Wir über uns“. Oder Manoushe, ein kindischer Film des Brasilianers Luis Begazo, surrealistisch aufgetakelt. Die Belohnung: Der „Preis für die beste Nachwuchsregie aus Afrika, Asien oder Lateinamerika“ (5.000 Mark).

Filme wie der von Andreas Dresen sind dagegen Labsal. Er schaffte in zwanzig Minuten, was anderen abendfüllend mißlang: Die Vermittlung zwischen Form und Inhalt. Dem Absolventen der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam genügten dazu ein Bahnsteig, ein älterer Herr mit seinem Traum von Paris, ein junges Mädchen kurz vor der Abschlußprüfung und einige weitere kleine Zutaten. Nichts geht vorwärts, weil zuerst der Interzonenzug durch muß. Gedreht Ende 1989, als die „historischen Züge“ reihenweise abfuhren, zeigt Zug in die Ferne, wie mühsam Bewegung und wie herrlich hochfliegend Phantasie sein kann.

Überhaupt gibt es nach eher dürftigen Zeiten wieder bemerkenswerte Aufarbeitungen dokumentarischer Stoffe. Renée Tajimas/Christine Choys Best Hotel on Skid Row (USA) zeigt Bilder von Menschen im Madison-Hotel, Los Angeles. Dazu spricht Charles Bukowski — aus dem Kommentar zum Leben in der Absteige wird ein Gedicht mit ironischem Unterton. Alexander J. Seilers Palaver, Palaver (Schweiz) über die Volksabstimmung der Schweizer zur Abschaffung der Armee Ende letzen Jahres ist ein atmosphärischer Bericht über den Chauvinismus der Schweizer unter Einbeziehung des einsetzenden osteuropäischen Tauwetters. Dazwischen immer wieder die Probenarbeit zu Jonas und sein Veteran in Zürich und Lausanne, Kostproben aus Max Frischs Diskurs über die Absurdität einer Schweizer Armee — Seiler hätte pointiertere Textstellen auswählen können, um die Argumente von Militärs und Politikern zu konterkarieren.

Nächstes Jahr feiert die Filmwoche 40jähriges Jubiläum, und es wird Veränderungen geben. Michael Kötz, Filmjournalist und Lehrbeauftragter für Film an der Frankfurter Universität rückt neben die langjährigen Leiterin Fee Vaillant in die Spitze. Das sollte eigentlich ein Geheimnis bleiben, aber am Ende konnte man nicht anders: Nach der Preisverleihung verkündete der Oberbürgermeister, was alle schon wußten. Die Bekanntgabe der konzeptionellen Neuerungen allerdings soll auswärts geschehen. Allerdings sickerten auch hier schon Einzelheiten durch: Die Zahl der Wettbewerbsfilme wird geringer werden, Sonderreihen sollen wegfallen, und Michael Kötz will ein zweites (innovatives?) Programm neben dem Wettbewerb präsentieren.