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Regierungschef weicht Studenten

■ Ukraine beschließt Neuwahlen auf der Grundlage des Mehrparteiensystems für das Frühjahr

Kiew (dpa/taz) — Zum ersten Mal in der Geschichte der Perestroika hat der Ministerpräsident einer Unionsrepublik unter dem Druck der öffentlichen Meinung seinen Rücktritt angeboten. Witali Masol, Regierungschef der Ukraine, hatte diesen Entschluß gefaßt, nachdem ihn eine „Schlichtungskomission“ aus Vertretern aller Parlamentsparteien dazu aufgefordert hatte. Regierung und Parlament beugten sich damit einem studentischen Massenprotest, der mit dem Hungerstreik von 192 Studenten an der Kiewer Universität begonnen und sich am Dienstag und Mittwoch mit Demonstrationen von Zehntausenden Studenten in der ganzen Ukraine fortgesetzt hatte. Ihre Forderungen lauten: Rücktritt des Regierungschefs, keine Unterzeichnung eines neuen Unionsvertrages, Enteignung des Vermögens der ukrainischen KP, Auflösung der kommunistischen Parteizellen in den Betrieben, im KGB und der Armee, außerdem Neuwahlen auf der Grundlage des Mehrparteiensystems sowie ein Gesetz, daß den Militärdienst nur noch auf dem Territorium der Ukraine zuläßt.

Nachdem im ukrainischen Obersten Sowjet, in dem die „gewendeten“ Kommunisten immer noch die Mehrheit haben, zuerst der Ruf nach Ausrufung des Notstands laut geworden war, traten die Postkommunisten den Rückzug an. Das Parlament beschloß, dem Antrag der Opposition folgend, die Unterzeichnung des neuen Unionsvertrages solange auszusetzen, bis der Verfassungsentwurf der Zentralregierung vorliegt. Wie Michailo Horin, von der Volksfrontbewegung „Ruch“, mitteilte, sollen zudem im Frühjahr Neuwahlen abgehalten werden, an denen sich alle oppositionellen Gruppen beteiligen können.

Trotz dieser Zugeständnisse fanden am Mittwoch in zahlreichen Städten der Ukraine Kundgebungen statt, deren Teilnehmerkreis weit über die Studenten hinausging und in denen das Ende der kommunistischen Parteiherrschaft ebenso gefordert wurde wie die Unabhängigkeit der Ukraine. Im Unterschied zur Lage in fast allen anderen Unionsrepubliken hatte es die Machtelite in der Ukraine lange verstanden, ihre Positionen im Staatsapparat gegenüber der Opposition abzuschirmen. Jetzt versuchen die Wendekommunisten, sich an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung zu setzen. Wie ambivalent das Verhältnis von nationaler und demokratischer Bewegung in der Ukraine gegenwärtig ist, zeigte sich auch bei den studentischen Protestbewegungen. Tausende nahmen am Dienstag an einer Ehrung des Nationalistenführers Stepan Bandere teil, der in den 30er Jahren gegen Polen und die Sowjetunion kämpfte, um sich dann Hitler in die Arme zu werfen — in der vergeblichen Hoffnung, dieser werde einer unabhängigen Ukraine seine Zustimmung geben. C.S.

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