Kandierte Gallensteine! A.T.B.Pf.!

■ Der Wiener Erwin Leder zwei Wochen mit Valentin-Programm in Bremen / Es gilt Theaterzwang

Anfang des Jahrhunderts ist Karl Valentin einmal nach Bremen gekommen. Damals nannte er sich Charles Fey und hatte einen Mords-Apparat dabei, ein selbstgebautes Orchestrion, was außer ihm niemand bedienen konnte. Weil er darauf öffentlich hundert Goldmark verwettet hatte, mußte er es immer noch komplizierter und monströser machen, bis er es am Ende selber nicht mehr verstand und in einem Riesenrausch zertrümmerte. Das nur nebenbei, daß man's weiß. Und jetzt, wo ein Wiener, immerhin, ein Valentin- Programm aufführt in der Schauburg, wissen Sie, was das bedeutet? Absoluten Theaterzwang, A.T.B.Pffff..., allgemeine Theaterbesuchspflicht, allein schon die Texte, mir verstehn uns.

Es geht schon auf drei zu (Sie müssen nicht auf die Uhr schaun, ich lüg' Sie nicht an! ) und ich weiß noch immer keinen Anfang. Das Ende kann ich, bloß wenn ich damit anfang', bin ich zu früh fertig. Eine Lachfalle nach der andern. Wie wir kullern! Schau, schau, der Leder Erwin, der kann's, der hat diesen Blick, den renitenten, den mondsüchtigen; ein begnadeter Komikerdarsteller, für einen Komiker vielleicht zu scharmant, zu schmunzelbereit. Der Valentin hätte sich ja niemals versöhnt mit seinem Publikum. Der Leder, trotz seiner erschreckenden Ähnlichkeit, meint es nur mäßig schlimm mit uns. Ja, von der bösen bayerischen Paranoia, da bleiben, überträgt man sie ins Weanerische,

hierhin den Mann

mit den Händen

an den Beinen

kandierte Gallensteine mit Schlagobers, aber immerhin. Kauen wir ruhig.

Diese Sketche sind äußerst schwierig. Manchmal, und dann ist er überwältigend, manchmal schafft Leder das: reden, reden, reden, als ob es nichts anderes mehr gäbe. Valentin, das war ja gar nicht der, „der sich die Sprache zum Bösewicht zog“ (das ist mal ein original Wittgenstein!) und dann vorführte; Valentin war bloß ein dermaßen militanter Linguist. Er hat die gläubige Ehrfurcht der kleinen Leute vor der Sprache nicht ertragen, er hat in jedem Text gegen die Sprache prozessiert und Beweise gesammelt dafür, daß sie nur tragischerweise und ganz irrtümlich in allem Elend als einziges noch funktioniert. Er wußte, man muß sie nur noch ein wenig härter machen, und sie zerspringt: Mein Anzug ist maßgeschneidert, aber nur nicht für mich. Das ist wahnsinnig lustig. Valentin zu einer Tänzerin: Was kriegen Sie pro Auftritt? Drei Mark. Wieviele Auftritte im Jahr? Einen. Also drei Mark im Jahr. Da heißt's einteilen.

Erwin Leder ist ein bekannter Schauspieler („Das Boot“ etc.) und weiß, wie man Blicke auswirft und sich ein Publikum angelt, wie man's zappeln läßt und wieder ins sichere Becken zurückschmeißt. Zwischen den Sketchen schminkt er sich umständlich, verspricht so endgültige Verwandlung in sein Urbild, aber er ist klug und tut's nicht, und wir, die wir drauf warten, mir sitzen eine halbe Stund im Theater, und auf einmal fangt's noch nicht an!

Hinterher sind mir halt auch gangen; daheim gleich ins Bett. Und in der Nacht ham mir das ganze Theater, von vorn bis hinten, noch einmal geträumt. Was glaum Sie, wie uns das Geld g'reut hat! Manfred Dworschak

bis 31.10. tägl. außer montags, 22 Uhr, Schauburg, Kl. Haus