»Der Stein des Anstoßes«

■ Eine Ausstellung über Asbest und seine Folgen im Heimatmuseum Neukölln

Neukölln. Sie sieht aus, als käme sie gerade vom Mond. Aber die Puppe im Glaskasten des Neuköllner Heimatmuseums steckt in einem überdimensionalen Hitzeschutzanzug. Hergestellt wurde das Ungetüm 1941, das Material: 100 Prozent Asbest. Asbestfasern wurden am Ende des 19. Jahrhunderts für die industrielle Fertigung entdeckt. Vor allem für die Entwicklung der Dampfmaschine war Asbest von großer Bedeutung, da seine Isolierfähigkeit gegenüber Hitze wesentlich höher ist als die anderer Stoffe. Ein paar Jahre später wurde der Asbestzement erfunden. Eine Mischung aus 90 Prozent Zement und 10 Prozent Asbest ergibt einen extrem widerstandsfähigen Baustoff. Auch in Toastern und sogar in Zigarren — für ein regelmäßiges Abbrennen — wurde der Stoff verwendet. Noch Anfang der sechziger Jahre galt er als das »Zaubermineral« überhaupt. Auf die Idee, daß das natürliche Gestein höchst giftig sein könnte, kam niemand.

Zusammen mit dem Umweltbundesamt und der Bezirksabteilung Volksbildung hat das Heimatmuseum Neukölln eine Ausstellung mit dem Titel Zum Beispiel Asbest · Ein Stein des Anstoßes zusammengestellt. Neukölln war der erste Bezirk in Berlin, in dem Asbestverseuchungen in Schulen festgestellt wurden. Im Laufe der Jahre, so Volksbildungsstadtrat Schimmang (SPD), seien 3.500 Neuköllner SchülerInnen »ihrer Schulheimat beraubt« worden. Baustadtrat Branoner (CDU) rechnete vor, was das gekostet hat: 100 Millionen DM für Schulersatzbauten, und 400 bis 500 Millionen wird allein die Sanierung der Schulen noch kosten. Auf die ehemals Westberliner Bezirke hochgerechnet, käme man auf etwa 1,5 Milliarden DM.

Die Ausstellung beschäftigt sich quasi ganzheitlich mit dem Thema Asbest. Angefangen bei der Entstehung des Gesteins, informieren Schautafeln und Fotos über die Geschichte des Asbests bis hin zu Sanierung und gesundheitlichen Folgeschäden. Menschen, die in den fünfziger Jahren mit Asbest gearbeitet hätten, stürben heute, »salopp gesagt, wie die Fliegen«, sagte Hans- Jürgen Nantke vom Umweltbundesamt. Ihm seien Firmen bekannt, in denen ein Viertel der damaligen Belegschaft an Krebs starb.

Die Ausstellung im Heimatmuseum Neukölln ist die erste dieser Art in Deutschland. Sie ist der erste Teil eines Pilotprojektes, in dem das Museum die Zusammenhänge zwischen Industriegeschichte und ökologischen Aspekten auf lokaler und regionaler Ebene untersuchen wird. Hinzu kommt die soziale Dimension für Neukölln: Einer der größten Hersteller von Asbestzement ist eine Rudower Firma. Christel Blanke

Die Ausstellung ist vom 20.10. bis zum 1.4.91 im Heimatmuseum Neukölln zu sehen. Mi. von 12 bis 20 Uhr und Do. bis So. von 10 bis 17 Uhr.