Olympische Spiele in Berlin?

■ Offener Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Herrn Walter Momper

Offener Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Herrn Walter Momper

[...] Ich habe mich vor eindreiviertel Jahren über den Wahlsieg Ihrer Partei und das Zustandekommen der jetzigen Koalition ehrlich gefreut, weil ich hoffen durfte, daß damit eine Politik ein Ende finden würde, die darauf ausgerichtet war, Berlin ständig in die Schlagzeilen zu bringen, aber wenig Rücksicht auf die Lebensbedürfnisse der Berliner nahm: einerseits riesige Subventionen für irgendwelche Mammutveranstaltungen, bei denen wir bestenfalls als Zuschauer erwünscht waren, andererseits ständige Verschlechterung der Situation für Arbeitnehmer, Mieter, Kinder, Schüler, Studenten etc.

Ihre Parole vom »ökologischen Umbau« der Stadt wurde von vielen Berlinern so aufgefaßt, daß jetzt Schluß sei mit dieser Politik, die Großmannssucht so prächtig mit Sparfimmel verbinden konnte. Nun hat man sich auf Sie verlassen — und ist schon wieder verlassen.

Ich will die anfänglichen Bemühungen Ihres Senats um den ökologischen Umbau der Stadt gar nicht in Frage stellen. Ich übersehe auch nicht die immensen Probleme, vor denen die Berliner Verwaltung wegen der Vereinigung [...] steht. Ich wäre der letzte, der Ihnen die Schuld geben würde dafür, daß Berlin immer lauter, immer voller, immer teurer wird und immer unerträglicher stinkt.

Aber in dieser Situation ein derart gigantomanisches Unternehmen wie die Olympischen Spiele hierher zu holen, das ist doch wirklich das Übelste, was man den Berlinern jetzt antun kann. Neben vielen anderen Folgen sind damit doch die zusätzliche Vermehrung des Luft- und Autoverkehrs, die zusätzliche Beschleunigung des Anstiegs der Lebenshaltungskosten (vor allem der Mieten), die rasante Zunahme von Lärm, Dreck, Gestank, Enge und Aggressionen vorprogrammiert. Olympia 2000 oder ökologischer Umbau der Stadt — da geht nur eins von beiden. Einen goldenen Mittelweg gibt es da nicht.

Es wäre schön , wenn man in diesem Punkt auf Ihre Einsicht bauen könnte. Sonst bleibt uns nur die Hoffnung, daß die alten Herren vom IOC ein Einsehen mit uns haben und die Ehre, Olympia 2000 ausrichten zu dürfen, einer anderen Stadt dieses Erdkreises gewährten. Und wenn dann ein mühsam auf clean getrimmter Nachfolger Ben Johnsons den olympischen Eid spricht, dann werden wir wissen, welch irrsinnig wichtiges Ereignis uns dabei durch die Lappen gegangen ist.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Sport zu treiben ist für mich seit frühester Jugend eine unentbehrliche Quelle der Lebensfreude, des Selbstbewußtseins und der Entspannung. Aber Olympische Spiele als Fest der Völkerfreundschaft? Als Stätte fairen Wettkampfes? Teilnahme wichtiger als Sieg? Das ist doch ideologischer Quark! Warum soll ausgerechnet Berlin eine derart angemoderte Idee hochhalten, dafür Milliarden Mark fehlinvestieren und dabei eine rapide Verschlechterung der Lebensqualität in Kauf nehmen?

[...] Berlin wird auch ohne Olympische Spiele noch schnell genug wachsen. Die Unwirtlichkeit unserer Städte ist oft beklagt worden. Berlin kann sich leider nicht rühmen, dabei eine Ausnahme zu sein.

Wenn Sie, sehr geehrter Herr Momper, einen Rat hören wollen, investieren Sie ruhig weiter in den ökologischen Umbau der Stadt. Und wenn dann noch Geld übrigbleibt, gibt es dafür auch reichlich Verwendung: Wohnungsbau, Kindertagesstätten, Schulen, Freizeitanlagen und vieles andere mehr. Alfred Hoheisel, Berlin 19