Die Angst vor dem Pogrom

■ Fachleute berichten über Lage der Roma in Osteuropa/Um die Frage der besonderen Verantwortung drückte man sich bei der Anhörung herum/CDU-Abgeordnete glänzten durch Abwesenheit

Schöneberg. Die Schlagzeilen über »klauende Zigeunerbanden« haben sich mittlerweile in den Köpfen festgesetzt, die Übergriffe auf Sinti und Roma vor allem in Ostberlin nehmen zu, der Umgang von Polizei und Behörden mit den ungebetenen Gästen ist oft rüde und menschenverachtend. Daß Aufklärung not tut, haben nun endlich auch die rot-grünen Abgeordneten des Ausländerausschusses erkannt. Sie setzten in ihrer letzten Sitzung eine Anhörung zur Situation der Roma und Sinti in Berlin an.

Das eigentliche Dilemma formulierte eine der Referentinnen, Katrin Reemtsma von der Gesellschaft für bedrohte Völker. In der BRD habe man es bislang nicht für nötig befunden, auf die neue Freizügigkeit in den osteuropäischen Ländern politisch und verfahrensrechtlich zu reagieren. Stattdessen behilft man sich mehr schlecht als recht mit zwei Optionen: »Entweder man schiebt die Leute ins Asylverfahren, oder man macht die Grenzen dicht.«

Ihre eindringliche Schilderung der Verfolgung und Diskriminierung der Roma in Jugoslawien und Rumänien stieß zumindest bei den Abgeordneten von SPD, AL und Bündnis 90 auf erhöhte Aufmerksamkeit. Die Ausschußmitglieder der CDU glänzten entweder durch Desinteresse oder Abwesenheit.

Die Angst der Roma vor Pogromen, so Reemtsma, ist in beiden Ländern berechtigt, und hat sich für die Roma in Bukarest zuletzt im Juni dieses Jahres bewahrheitet, als Polizei und regimetreue Bergarbeiter die von Roma bewohnten Viertel überfielen. »Die Situation ist durchaus mit der Lage der Juden in der Sowjetunion zu vergleichen.«

Daß Berlin seine ganz eigene, beschämende Geschichte des Umgangs mit Sinti und Roma hat, kam nur am Rande zur Sprache, als der Vorsitzende der Berliner Sinti-Union, Otto Rosenberg, sein (Über-)Leben in der Nazizeit mit vier Worten zusammenfaßte: »Marzahn, Auschwitz, Buchenwald, Bergen-Belsen.« Am 5. Juni 1936 hatte der damalige Reichsinnenminister Frick in Berlin einen »Landfahndungstag nach Zigeunern« angeordnet. Kurz vor Beginn der Olympiade sollte die Reichshauptstadt »zigeunerfrei« sein. Das »Zentrale Zigeunersammellager« in Marzahn wurde zum Synonym für das Ghetto der Sinti und Roma, bevor man sie in die KZs deportierte.

Die Frage nach der besonderen Verantwortung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus wollte denn auch bei der Anhörung niemand so richtig ansprechen — mit Ausnahme von Katrin Reemtsma und der Ausländerbeauftragten des Magistrats, Anetta Kahane. »Ob mit oder ohne Schuldgefühl, wir haben eine besondere Verantwortung diesen Menschen gegenüber.«

Wie die Stadt dieser Verpflichtung gerecht werden will, darüber war gestern nicht viel zu erfahren. Die beiden anwesenden Staatssekretäre Borrmann (Inneres) und Tschoepe (Soziales) gaben sich ausgesprochen wortkarg, lediglich Staatssekretär Gerd Harms (AL) aus der Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie konnte vermelden, daß sich sein Haus weiterhin bei den Bezirken um angemessene Stellplätze für fahrende Sinti und Roma bemüht. Daß unterdessen immer noch an die 30 Roma aus Rumänien in selbstgebastelten Hütten an der Jaffestraße hausen müssen, darüber zeigte sich der AL-Politiker erst überrascht und dann entsetzt. Nach letzten Informationen sollen den Roma nun Wohncontainer zur Verfügung gestellt werden. Andrea Böhm