Sondermüllstreit bei den Südwest-Grünen

Während der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion in Stuttgart für die Reduktion des Sondermülls und gleichzeitig für den Bau zweier Verbrennungsanlagen plädiert, hält die grüne Basis Grundsätze und Beschlüsse hoch  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

„Winfried Kretschmann hat den Spielraum, der ihm für die Umsetzung grüner Politik selbstverständlich eingeräumt wird, eindeutig überschritten. Er fällt mit seinem Kompromißvorschlag den Bürgerinitiativen und der eigenen Partei in den Rücken.“

So formuliert es Rudi Hoogvliet, Sprecher des baden-württembergischen Landesverbands der Grünen. Nicht nur er hatte in der vergangenen Woche heftig kritisiert, daß ein Fraktionsvertreter der Grünen sich bei der Standortsuche für zwei geplante Sondermüllverbrennungsanlagen im Land weiter beteiligen will. Kretschmann, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion und wegen seiner Mitarbeit in einer interfraktionellen Arbeitsgruppe „Sondermüll“ des Landtags bereits mehrfach von der Parteibasis gerüffelt, sollte diese fraktionsübergreifende Zusammenarbeit nach dem Willen eines Landesdeligiertenbeschlusses unverzüglich einstellen.

Mit dem Hinweis, er werde „einen Teufel tun“ und die Kommission nicht zu einem Zeitpunkt verlassen, wo die CDU sich auf grüne Positionen zubewege, löste der frühere Ministerialrat in Joschka Fischers hessischem Umweltministerium einen heftigen Streit aus, der sogar die Landtagsfraktion zu sprengen drohte. Kretschmann sieht in der Arbeit der Kommission, die nach Lösungswegen bei der Beseitigung der jährlich rund 100000 Tonnen zur Verbrennung anfallenden Giftmülls im Südwesten sucht, einen Erfolg: Da sich die CDU auf ein Vermeidungspotential von 50 Prozent festgelegt habe, sei ein Durchbruch erzielt worden.

Dies stellen kritische Stimmen stark in Frage, zumal die CDU-Fraktion entgegen der öffentlichen Bekenntnisse ihres Umweltministers weiter daran festhält, den Bau von zwei Giftmüllöfen mit je 50000 Tonnen Kapazität voranzutreiben.

Auch im Kreisverband Böblingen wird die Arbeit der Kommission anders gesehen.

Seit langem zeichnet sich ab, daß einer der Giftmüllöfen im Großraum Stuttgart gebaut werden soll — womöglich auf dem Gelände des Panzereinrichtungswerks Böblingen, den die Deutsche Projekt-Union als geeigneten Standort vorgeschlagen hatte.

Die Böblinger Grünen forderten Kretschmanns Parteiausschluß. Die Begründung: ein Grüner habe in einem solchen Gremium nichts verloren, das weiter auf die Verbrennung von Giftmüll setze; außerdem verstoße eine Mitarbeit gegen geltende Parteitagsbeschlüsse.

Auf ihrem Leonberger Landesparteitag hatten die Grünen im Sommer beschlossen, über ein infragekommendes Beseitigungsverfahren für den restlichen Giftmüll erst dann mit sich reden zu lassen, wenn konkrete Vermeidungsschritte umgesetzt seien; die Verbrennungspläne des Umweltministers Erwin Vetter wurden dementsprechend als „Pyromanenpolitik“ zurückgewiesen.

Bereits dort hatte der von Späth und Vetter als Sondermüllexperte geschätzte Kretschmann sich den Zorn der Delegierten zugezogen, weil er in sein Modell einer Abfallfabrik auch gleich einen Hochtemperaturofen zur Giftmüllverbrennung integriert hatte.

In der Fraktion löste der Ausschlußantrag Kretschmanns Empörung aus: die Realo-Mehrheit plädierte dafür, Kretschmann in der Müllkommission zu belassen — was besser in ihr Konzept des „Mitregierens als Opposition“ passe, als der von einem Großteil der grünen Basis und den Bürgerinitiativen getragenen „Verweigerungsmentalität“ nachzujagen.

Doch nicht genug: Ebenso wie Kreschmann drohte Fraktions-Vize Gerd Schwandtner öffentlich mit Parteiaustritt. Eine Reihe weiterer Realo-Abgeordneten und Fraktionsmitarbeiter hege ähnliche Gedanken, wenn der Handlungsspielraum der Parlamentarier weiterhin mit „Denkverboten“ eingeschränkt werde, wurde vor einer anberaumten Krisensitzung zwischen Fraktion und Landesvorstand am Dienstag spekuliert.

Die Kompromißlinie der Fraktion, wonach eine weitere Teilnahme Kretschmanns in der Sondermüll- Arbeitsgruppe davon abhängig gemacht wird, ob sich die Komission auf konkrete Maßnahmen zur Vermeidung einigt und den Bau des umstrittenen Giftmüllofens in Kehl ausschließt, stieß beim Landesvorstand auf wenig Gegenliebe. Konterkariert hatte diesen Fraktionsbeschluß noch ein Brief Kretschmanns und des Fraktionsvorsitzenden Rezzo Schlauch an die ebenfalls in der Arbeitgruppe Sondermüll sitzenden Fraktionschefs Dieter Spöri (SPD) und Walter Döring (FDP). In dem Schreiben heißt es, die Arbeitsgruppe müsse „in der Standortfrage zügig eine Vorentscheidung treffen, damit sie sich endlich dem von ihr selbst gesetzten Schwerpunkt“, der „Umsetzung von Vermeidung und Verwertungspotentialen“ widmen könne — ein Affront und in „keinster Weise mit den Parteitagsbeschlüssen in Einklang zu bringen“, so der Landesvorstand. Zwar wurde der Ausschlußantrag Kretschmanns einstimmig abgebügelt, in der Sache aber schloß sich das Parteigremium voll der Böblinger Kritik an. Kretschmann wurde abgemahnt.

Landesvorstand und Fraktion haben sich erst einmal auf einen fragilen Burgfrieden geeinigt, der möglicherweise schon in wenigen Tagen wieder zur Disposition steht.