Wo bitte geht's z zur Bar?

Kein Witz:  ■ THOMAS KUPPINGER

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er Gast ist König, ganz gleich, wie er auftritt und was er verlangt. Hotels, die Wert auf Renommee und Sterne legen, verfahren weltweit nach dieser Devise. Doch alles hat seine Grenzen. Wie reagierte man etwa in Berlins feinem Kempinski, träte dort ein durchaus angemessen gekleideter Gast an die Rezeption, verlangte schwarzen Afghanen und fragte, wo er hier seinen Joint einfahren könnte? Würde man am Ku'damm/Ecke Fasanenstraße die Contenance behalten, höflich lächeln, gar unter Entschuldigungen bedauern, daß man damit leider nicht dienen könne?

Alexandria, Ägypten — Megalopolis und schauriger Dritte-Welt-Betonmoloch am Mittelmeer. Der neunte Monat des islamischen Kalenders, der Ramadan, geht seinem Ende zu. Es ist 19 Uhr abends, die Straßen quellen über vor Menschen und Autos, an allen Ecken und Enden wird gegessen, getrunken, geraucht. In riesigen Mengen — denn bis vor zwei Stunden die Sonne unterging und von den Minaretten der Moscheen per Lautsprecher das befreiende „Allah ist groß“ erklang, hat fast keiner der Einwohner der Zehn-Millionen-Stadt gegessen, gequalmt — oder angesichts der 35 Grad Hitze etwas getrunken. Es ist die heilige Jahreszeit des Fastens.

Bier her, Bier her, oder i fall um, juchhei... Der alberne Mitgröhlohrwurm vom Oktoberfest umschreibt ausnahmsweise einmal völlig korrekt unsere Stimmung nach drei Stunden halsbrecherischer Fahrt im altersschwachen Sammeltaxi von Kairo her über die Wüstenroute. Also ab in ein „besseres“ Hotel...

Für den verlotterten Mr. Kirsha — eine der Hauptfiguren in Midaq Alley, dem wohl bekanntesten Roman des ägyptischen Nobelpreisträgers von 1988, Nagib Mahfuz — wäre das Berliner „Kempi“ eine verkommene Drogenhöhle. Wenn der etwas schludrige Kaffeehausbesitzer, Knabenliebhaber und leidenschaftliche Kiffer aus der Alt-Kairoer Midaq-Gasse auf seine stadtteilbekannten kleinen Laster angesprochen wird, hat der trotz allem gottesfürchtige Gastronom und Familienvater stets dieselben Antworten parat. Zum einen attackiert Mr. Kirsha die Obrigkeit, die zu Kirshas Zeit Anfang der vierziger Jahre aus dem zweifelhaften Beamtenstaat des Königs Faruk und der britischen Armee im Land bestand. Und diese Obrigkeit hat für den Haschischraucher Kirsha völlig den Verstand verloren, die Welt ins Perverse verkehrt: „Sie hat den Wein legalisiert, den Gott verboten hat“, wettert fromm der empörte Mr. Kirsha, „und hat das Haschisch verboten, das Allah erlaubt. Sie erlaubt heiße und muffige Tavernen und unterdrückt Haschischhöhlen, die doch Medizin für Seele und Intellekt bereit halten!“

Der Gast ist König. Beflissentlich und unvermeidlich einem rassistischen Klischee entsprechend, reißt uns der Page die Türe der imposanten alten Herberge auf. Hautfarbe und europäische Herkunft sind ihm Einlaßausweis genug. Das Hotel ist ein alter Kasten aus kolonialen Tagen, unter ägyptischem Management, keine First-Class-US-Bettenburg. Lächeln und Körperhaltung des tief dunkelblau befrackten würdigen Portiers versprechen jeden hier nur denkbaren Luxus. „Yes, Sir?“ — „Do you serve Alcohol? Where is the bar?“ Die Miene des älteren Herrn gerät unvermittelt in Kämpfe und Krämpfe. Entsetzen, Ekel, Empörung flammen für Sekundenbruchteile auf, doch die gastronomische Tugend behält die Oberhand. „No, I'm sorry, Sir, it's Ramadan.“ Kleinlaut und schuldbewußt fragen wir noch nach einer anderen möglichen Bar in der Nähe. Mit Todesverachtung, aber lächelnd höflich belehrt er uns beleidigt: „This is an islamic country.“ Wie geschlagene Hunde schleichen wir über knöcheltiefe Teppiche von dannen...

Der Prophet hat den Genuß vom Fleisch der Schweine und von gegorenem Saft der Trauben verboten — und sich damit auch am Nil durchgesetzt, obwohl man hier von altersher auf die präislamische Tradition stolz ist. Den Pharaonen und ihren Untertanen war das Bier so wichtig, daß sie es gleich maßkrugweise mit in die jenseitige Welt der Grabkammern und Pyramiden mitnahmen. Eine nicht-islamische, aber durchaus ägyptische Tradition und zugleich ein Beweis für die Toleranz der überwiegend moslemischen Bevölkerung ist zudem der Weinbau im Nildelta. Griechische Einwanderer, koptische Christen und Klöster produzieren unbehelligt einen vollmundig-fruchtigen Tropfen. Für den Hausgebrauch, für Sünder und fürs Ausland. Wine made in Egypt, seit altersher.

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lexandrias City 1990 erscheint dagegen im Ramadan alkoholfrei: Auch ein weiterer Versuch in einem sich „international“ annoncierenden Lokal unweit der einst berühmten, kilometerlangen Corniche von Alexandria mißlingt. Mit bitteren Selbstreflexionen über das eigene Alkoholsuchtverhalten betreten wir schließlich das „Cecil“, vor den Zeiten der Sheratons Alt-Alexandrias imperiales Nobelhotel. Dieselbe Frage — und wieder verändert sich das servile Lächeln. Aber dieses Mal anders: Mutter Teresas mildes Antlitz erscheint auf dem Gesicht des mit Kordeln behängten Mannes. Tiefes Verständnis, überlegenes Mitleid schließlich: Nachsicht mit ekelhaft Gestrauchelten. Wir schämen uns erneut unseres unsäglich frevelhaften Lasters. Jedoch: Es gibt eine Bar. Ein Page — er wiederum zwinkert schlüpfrig verschwörerisch — übernimmt die Führung. Schilder zur Lasterhöhle gibt es nicht. Wir durchqueren eine lange, für den Ramadan orientalisch bunt geschmückte Lounge voll eleganter, offensichtlich stinkreicher Ägypter an Tischchen mit Tee, Fruchtsäften und teuren Leckerbissen. Auf keinem ist auch nur ein Tröpfchen Whiskey, Bier, Schampus. Als seien wir auf dem Weg in eine Opiumhöhle, so kommen wir uns vor — und durchschaut. Die Leute im Saal wissen, wohin wir geführt werden. Mit schamhaft gesenktem Kopf gehen wir Unverbesserlichen in die mit Sichtblenden uneinsehbar gemachte Lasterhöhle der Ungläubigen.

Mit solcherlei nicht-islamischer Verworfenheit rechnet auch, trotz aller religiösen Vorbehalte, der ägyptische Staat: großzügig offeriert er jedem Ausländer in staatlichen Dollarläden ein kleines Kontingent an harten Spirituosen zum Sonderpreis. Unter den zahlreichen Ausländerkolonien der Hauptstadt findet der Sonderangebotsschnaps reißenden Absatz. Auch wer von den Ausländern selbst keine drei Flaschen Whiskey im Monat trinkt, greift zu, schickt gar noch Besuch aus der Heimat in den Schnapsladen, denn auf dem Schwarzmarkt bringt der Stoff ein Vielfaches. Und dort versorgen sich durchaus nicht nur Ungläubige aus der Fremde.

Die Bar von „Cecil's Hotel“ zeichnet sich aus durch ein Ambiente und eine Atmosphäre, wie man sie aus Hemingway-gestylten B-Movies kennt: Musikgeklimper vom Band, ein paar europäische Angesoffene, Air Condition, ein dicker nubischer Kellner mit Goldknöpfen auf etwas angeschmuddeltem weißen Kittel, Flaschen, ältere amerikanische Touristenehepaare mit Pharaonen-Handbüchern. Und — ungelogen — sogar eine Kakerlake flitzt über den Tresen. Der Nubier hantiert flink mit Flaschen, Gläsern und Eis und gibt sich seinerseits Mühe, dem kolonialen Klischee eines boys zu entsprechen. Die US- Touristen und britischen Seeleute fühlen sich dementsprechend so richtig zu Hause in der Promille-Oase und bestellen in breitesten Dialekten ihre von zu Hause her angestammten Drinks. Die Deutschen, mehrere Montagearbeiter aus Süddeutschland, halten sich ans ägyptische Bier in Literflaschen und schimpfen „...und jetzt 'n schönes Paulaner, das wär' halt was.“ Und so langsam wird man besoffen, das im Suff vereinte Euro-Nordamerika wird sich bei Ägypterwitzen immer einiger, daß hier in dieser Exklave hinter Sichtblenden echte Zivilisation herrsche. Schließlich gibt es hier was zu trinken... Und jedes Mal, wenn ich das literweise getrunkene Bier ablassen gehe, muß ich die Festlounge mit den Ägyptern durchqueren. Wissend, so scheint es, folgen mir zahlreiche Augenpaare. Ein Gefühl, als verlasse man eine Peepshow, die von Heilsarmee und Feministinnen zugleich belagert wird...

Was dem Europäer harmlos und sittenstreng erscheint, kann für den Moslem schon ein heißes Pflaster sein. Aber wo Geld ist, wird auch gesoffen. Wer nach dieser Devise verfährt, kommt überall an seinen Sprit. Manchmal über Umwege: einem geradezu katholischen Fall von heuchlerischer Doppelmoral glaubten wir in einem streng orientalischen, teurem Restaurant über den Dächern Kairos auf die Spur gekommen zu sein. Die Karte wies eine lange Liste natürlich alkoholfreier Aperitifs mit Fantasienamen aus. Nach dem schönen Klang wählten wir drei aus. Einer davon hieß „Golden Surprise“ — und überraschte tatsächlich: unten trübe goldgelb, oben mit einer dicken Blume aus weichem, weißen Schaum. Ganz wie bei Manfred Krug oder Sedlmayer selig auf den Plakaten in den heimischen U-Bahnen. Doch ein gieriger Schluck bringt nur einen bitter-angebrannten Gewürzgeschmack auf den Gaumen.

Keine Spur von jener „brennenden Sensation“, die den armen Friseur Abbas aus der Midaq-Gasse durchrann, als man ihm in einer Spelunke im (damals noch existenten) jüdischen Viertel Alt-Kairos ein Glas Wein aufdrängte, nachdem seine schöne keusche Angebetete Hamida mit einem Zuhälter das weite gesucht hatte...