Die Stube dampft!

■ Eine interdisziplinäre Diskussion über die deutsche Haltung zur Golfkrise

Die deutsche Haltung zur Golfkrise ist ja keineswegs unumstritten. Es gelang uns, einige prominente Vetreter ihres jeweiligen Berufsstandes zu einer Podiumsdiskussion zusammenzubringen. Wir geben die interdisziplinäre Gesprächsrunde im folgenden wieder:

taz: Die Kriegsgefahr in der gegenwärtigen Krise ist wohl doch auch deshalb so groß, weil sich so recht niemand vor einem Waffengang zu fürchten scheint.

Philosoph: Der Krieg war die durchschnittlich einmal im Menschenalter notwendige Machtprobe.

Wie erklärt sich der Medienrummel?

Literat: Eine solche „Mobilisierung“ zum Kriege hat immer etwas vom Anbruch wilder Ferien, vom Hinwerfen des eigentlich Pflichtgemäßen, von einem Durchgehen zügelunwilliger Triebe, — sie hat zuviel von alldem, als daß einem gesetzten Menschen, wie mir, ganz wohl dabei sein könnte.

Der komfortable Abstand zum Krisengebiet tut ein übriges?

Literat: „Nichts Besseres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen

Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,

Wenn hinten, weit, in der Türkei,

Die Völker aufeinanderschlagen.“

Kabarettist: Die Stube dampft! Die Türken trommeln!

Aber auch in der Region selbst gibt es durchaus Zustimmung in der Bevölkerung.

Literat: Hier tritt das Moment der Opfer-, der Todesbereitschaft ein, das über vieles hinweghilft. Es mag wohl sein, daß anderwärts dieser Kurzschluß des Schicksals vielmehr als Katastrophe empfunden wird — hier wirkt er ganz vorwiegend als Aufbruchsfreude, Abwerfen des Alltags, Befreiung aus einer Stagnation, mit der es so nicht weiter hatte gehen können, als Appell an Pflicht und Mannheit, kurz, als heroische Festivität.

Die Realität ist dann doch freilich meist düsterer.

Literat: Ich berichte von einem Bekannten: er hatte sich platt hingeworfen, da ein Geschoß anheult. Das Produkt einer verwilderten Wissenschaft fährt dreißig Schritte vor ihm in den Grund, reißt einen haushohen Springbrunnen von Erdreich, Feuer, Eisen und zerstückeltem Menschentum empor. Denn dort lagen zwei, sie hatten sich zusammengelegt in der Not: nun sind sie vermengt und verschwunden. Sie sind dreitausend, damit sie noch ihrer zweitausend sind, wenn sie bei den Hügeln anlangen; das ist der Sinn ihrer Menge. Sie werden getroffen, sie fallen, mit den Armen fechtend, in die Stirn, in das Herz, ins Gedärm geschossen. Sie liegen den Hinterkopf in den Grund gebohrt, und greifen krallend mit ihren Händen in die Luft.

Historiker: Ich zitiere einen Hiroshima-Bericht: „Ich begegnete einem ersten Opfer. Im ersten Moment konnte ich dieses Wesen nicht als Mensch erkennen. Seine Haut hatte sich vollständig gelöst, sein Körper war nur noch blutiges Fleisch. Ich sprang in den Fluß und versuchte schwimmend weiterzukommen. Um mich herum Feuer, Rauch, der geruch verbrennenden Fleisches.

Ein Mädchen hatte nur kleinere oberflächliche Wunden. Aber nach 4 Wochen begann ihr Haar auszufallen. Nach 10 Tagen starb sie...“

Geistlicher: ... die Körper waren so verbrannt, daß man sie nicht mehr erkennen konnte. Ihre Haare und Nägel fielen aus. Um diesem Feuer zu entkommen, warfen sich die Soldaten in die Flüsse.

Und der dritte Teil der Erde verbrannte, und der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles grüne Gras verbrannte.

Müßte nicht doch eine Verhandlungslösung gesucht werden?

Philosoph: Es soll sich kein Staat mit einem anderen solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen. Irgendein Vetrauen auf die Denkungsart des Feindes muß noch übrigbleiben, weil sonst die Feindseligkeit in einen Ausrottungskrieg ausschlagen würde.

Politiker: Um so entschlossener fordere ich zum Kampf

Und will nichts mehr von Unterredung wissen,

Trompeten, blast! Laßt wehn die blutigen Fahnen,

Den Weg zum Sieg uns oder Grab zu bahnen.

Militär: Wie eine fast vergessene Erinnerung blitzt es auf: Dort ist der Feind. Diese Erkenntnis erfüllt uns mit einer wilden, rasenden Lust. Schnell, nur schnell, jetzt muß getötet werden! Jetzt gibt es nur eine Erfüllung: das fließende Blut. Man empfindet eine dämonische Vorfreude in dem Bewußtsein, daß man als der Stärkere auftreten wird. Wartet nur...

Literat: ... ideologischer Feuilletonismus, der den Unfug zur großen Zeit verklärt.

Man könnte sich humanistisch- schönseliger Weise auch andere Bilder erträumen: in einer Meeresbucht, mit der Geliebten am Strande wandelnd, die Lippen am Ohr der weichen Braut. Statt dessen liegen sie, die Nase im Feuerdreck. Daß sie das freudig tun, ist eine beschämende Sache für sich, sollte jedoch kein Grund sein, sie in die Lage zu bringen.

Wieso finden sich immer noch Menschen für diese Drecksarbeit?

Politiker: Jedes Untertanen Pflicht gehört dem Staat, jedes Untertanen Seele ist sein eigen.

Literat: Den Begriff der Pflicht allerdings kenne ich nicht mehr. Ich habe den Krieg mitgemacht. Das, was mir Pflicht schien und was mir jeweils befohlen worden ist, war alles nicht gut, ich hätte stets lieber das Gegenteil getan. Statt des Begriffs der Pflicht kenne ich jetzt den der Schuld. Indem meine Mutter mich geboren hat, bin ich schuldig, bin ich verurteilt zu leben, bin verpflichtet, einem Staat anzugehören, Soldat zu sein, zu töten, Steuern für Rüstung zu bezahlen.

Aussteiger: Ein Ergebnis des ungebührlichen Respektes sieht man in einer Kolonne von Soldaten: wie sie in bewundernswerter Ordnung in den Krieg marschieren, wider ihren Willen, wider ihre gesunde Vernunft und ihr Gewissen. Geht doch einmal zu einem Kriegshafen und seht euch einen Matrosen an, eine Art Mensch, wie nur die amerikanische Regierung sie zustande bringt, ein Ding, das sie mit ihren bösen Künsten aus einem Menschen macht — es ist nur noch ein Schatten von Menschentum, ein Mann, lebendig aufgebahrt und aufrecht, doch sozusagen schon unter Waffen begraben und von einem Leichenzug begleitet.

Sind die USA nicht dieses Mal im Recht?

Professor: Bush ist der Aggressor. Das wirkliche Problem stellen die Vereinigten Staaten dar. Das Problem besteht nicht in Saddam Hussein.

Kabarettist: Und er kommt zu dem Ergebnis:

„Nur ein Traum war das Erlebnis.

Weil“, so schließt er messerscharf, „nicht sein kann, was nicht sein darf.“

Die Völkerrechtsverletzung war doch evident!

Philosoph: Ergreife die günstige Gelegenheit zur eigenmächtigen Besitznehmung; die Rechtfertigung wird sich weit leichter und zierlicher nach der Tat vortragen und die Gewalt beschönigen lassen.

Wissenschaftler: Ich bin überzeugt, daß bei der Malta-Konferenz im September ein Geheimabkommen vereinbart wurde, die Abgrenzung von Interessensphären. Das bedeutet die Verständigung darauf, daß die USA die Hegemonialmacht in der westlichen Hemisphäre und im Nahen und Mittleren Osten sind.

Historiker: Apropos Hegemonie: Der längste und sicherste Friede, von dem wir wissen, war die Pax Romana der ersten vier Jahrhunderte unserer Zeitrechnung. Imperium Romanum und Pax Romana waren dasselbe.

Stehen hier auch zwei Kulturen, zwei Zivilisationen gegeneinander?

Historiker: Der Standard der Kampflust, ihre Tönung und Stärke ist gegenwärtig auch unter den verschiedenen Nationen des Abendlandes nicht vollkommen gleich. Aber diese Unterschiede erscheinen als sehr unbeträchtlich, wenn man die Kampflust der „zivilisierten“ Völker der Kampflust von Gesellschaften auf einer anderen Stufe der Affektbewältigung gegenüberstellt.

Der Einsatz von Giftgas gegen die Kurden als „Unzivilisiertheit“?

Publizist: Massenmorde erkennt man als solche gerade daran, daß sie keine Kriegsverbrechen sind. Es liegt Weisheit darin, die sozusagen normalen Kriegsgreuel als Begleiterscheinungen einer Ausnahmesituation zu behandeln, in der gute Bürger und Familienväter sich ans Töten gewöhnen. Massaker an Kriegsgefangenen, Geiselerschießungen, Bombardierung reiner Wohngebiete: Das alles ist fürchterlich, gewiß, aber nach dem Kriege nach allgemeiner Übereinkunft besser allseits vergessen. Massenmord, planmäßige Ausrottung ganzer Bevölkerungsgruppen, „Ungeziefervertilgung“ begangen an Menschen, ist etwas ganz anderes.

Ist es möglich, einem solchen Diktator gewaltfrei gegenüberzutreten, nach dem Vorbild Ghandis?

Philosoph: Sein Mittel des gewaltlosen Kampfes war eine Neuschöpfung mit hinduistischen, christlichen und modernen Motiven. Das Mittel war präzise der liberalrechtsstaatlichen Denkweise der englischen Herrschaft angepaßt. Gewaltlosigkeit ist das angemessene Kampfmittel in einer unter Rechtsnormen pazifizierten Gesellschaft.

Wie steht es mit der neuen Rolle Deutschlands als Großmacht?

Literat: Der Zustand beglückt nicht nach Erwartung.

Gibt es, wie Mitterrand sagt, eine „Logik des Krieges“, und steht vor allem der vieldiskutierte „chirurgische Schlag“ durch die Amerikaner bevor?

Bauer: Krieg gibt's, wenn d's Mannevolch und d's Wybervolch glich derhärchunnt, daß me's fascht nimme vonangere kennt.

Literat: Die Idee beherrscht die Köpfe, daß wir zum Kriege gezwungen seien, daß wir zu den wohl vorbereiteten und eingeübten Waffen greifen müßten, von deren Vortrefflichkeit allerdings immer die geheime Versuchung ausgegangen sein mochte, davon Gebrauch zu machen.

Kabarettist: Kein Mensch muß müssen.

Publizist: Der kürzeste Blick auf die Weltgeschichte lehrt, daß der Krieg aus dem Staatensystem ebensowenig zu verbannen ist wie der Stuhlgang aus dem biologischen System des menschlichen Körpers.

Historiker: Man ist frei, Krieg zu machen oder nicht. Macht man ihn, dann wird er, was er will. Wenn dies nicht die Lehre des Ersten Weltkrieges ist, die des Zweiten, so lehrt uns die Geschichte überhaupt nichts. Wie unbelehrbar muß der sein, der noch glaubt, man könnte den Krieg, wenn er einmal da ist, beherrschen.

Wie wäre Krieg zu verhindern?

Philosoph: Kriege brechen aus, weil die Menschen sie im Grunde wollen.

Man akzeptiert oder fördert politische, soziale, ökonomische Strukturen, die zum Konflikt drängen und sieht, wenn der bewaffnete Konflikt ausbricht, die Schuld in den Personen der Politiker oder Militärs. Man gestattet sich selbst eine von Angst und Aggression erfüllte Seelenhaltung und erschrickt über die unvermeidlichen Kämpfe, die eine Gesellschaft von Menschen dieser Seelenhaltung produziert.

Eine Welt mit souveränen Großmächten, zwischen denen periodisch Kriege mit den dann jeweils modernsten Waffen geführt werden, erscheint nicht als eine stabile Ebene; sie wird in Weltfrieden oder Weltzerstörung übergehen. Für die Veränderung der Formen des Konfliktaustrags bietet jeder moderne Staat Beispiele. Im heutigen Nationalstaat sind Privatfehde und Bürgerkrieg als Institutionen abgeschafft. Unsere Parallele führt alsbald zu der Frage, ob die Form der Kriegsüberwindung ein Weltstaat sein werde. Die Einführung des Ackerbaus, der Städte, der Großreiche, der Kirchen, der Technik waren keine kleineren Schritte als es der Schritt zum Weltstaat wäre. Stärkere Waffen führen meist zu größeren Territorialstaaten, Hegemoniekonflikte zu Weltreichen, die einen Kulturkreis umfassen. Die kulturelle Angleichung der Weltteile aneinander vollzieht sich heute; sie ruft geradezu nach der politisch-organisatorischen Einheit. Vielleicht wäre die einheitliche Welt schwer zu regieren; also werden die Regierungsmethoden nicht schonend sein. Evident ist, daß der Weltstaat eine Gefahr für die Freiheit wäre. Das Ziel sollte sein, Strukturen wachsen zu lassen, die ihn vielleicht ersetzen können, und die ihn, wenn er käme, erträglich machen würden.

In Wahrheit waren dies ausschließlich Zitate, gelegentlich sinnwahrend redigiert und collationiert, um den gegenseitigen Bezug zu verbessern. Die Zitate, in der Reihenfolge ihrer Verwendung, sind entnommen:

Philosoph: C.F.v.Weizsäcker: Wege in der Gefahr, Kap. 6, 1

Literat: Thomas Mann: Doktor Faustus, Kap. XXX

Literat: Faust I

Kabarettist: Grabbe: Scherz, Satire..., 3. Akt

Literat: Doktor Faustus, Kap. XXX

Literat: Thomas Mann: Der Zauberberg, Schluß

Historiker: Shuntaro Hida in Greune/Mannhardt (Hrg.): Hiroshima und Nagasaki, S. 71, „Ein Mädchen...“: Goodchild: J. Robert Oppenheimer, S. 178

Geistlicher: Mahabharata, „Und der dritte Teil...“: Bibel, Off. 8, 7

Philosoph: Kant: Zum ewigen Frieden

Politiker: Shakespeare: Heinrich VI, 3.Teil

Militär: Jünger: Feuer und Blut, S. 139f, zitiert nach Theweleit: Männerphantasien, Bd. 2, Kap. 4

Literat: Doktor Faustus, XXX, „Man könnte...“: Zauberberg, Schluß

Politiker: Shakespeare: Heinrich V, 4. Akt, Im Original heißt es „König“ statt „Staat“.

Literat: Hesse: Der Steppenwolf, Abschnitt „Auf zum fröhlichen Jagen! Hetzjagd auf Automobile“

Aussteiger: Thoreau: Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat

Professor: Roger Garudy, taz vom 25.8.90

Kabarettist: Morgenstern: Galgenlieder, Die unmögliche Tatsache

Philosoph: Kant: Zum ewigen Frieden

Wissenschaftler: Johan Galtung, taz vom 24.8.90

Historiker: Haffner: Anmerkungen zu Hitler, S. 162

Historiker: Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation, Bd. 1, Kap. 2, 10

Publizist: Haffner, S. 164f

Philosoph: Weizsäcker: Der bedrohte Friede, Kap. IV

Literat: Doktor Faustus, XXX

Bauer: alte Prophezeiung, zitiert nach Theweleit 2, Kap. 3, S. 55

Literat: Doktor Faustus, XXX

Kabarettist: Lessing: Nathan der Weise, 1. Akt

Publizist: Haffner: Anmerkung zu Hitler

Historiker: Golo Mann, zitiert nach Herrmann/Joeressen: Wege zum Frieden, bzw. Fritz Vilmar: Rüstungswettlauf und Kriegswahrscheinlichkeit in „Krieg oder Frieden“

Philosoph: Weizsäcker: Die Verantwortung der Wissenschaft im Atomzeitalter, „Man akzeptiert...“: Wege in der Gefahr, Kap. 6, 1

„Eine Welt mit souveränen Großmächten...“: Wege in der Gefahr, Kap. 12, III, 4

Die Gesprächsleitung hatte Peter Steffens.