Der große Bluff der US-Freihändler

taz-Gatt-Serie, Teil 3: Die US-amerikanischen VerhandlungsführerInnen beeindrucken durch knallharte Freihandelsideologie gegenüber den subventionsverliebten Europäern, werden aber im eigenen Land nicht so ganz ernst genommen  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Die US-amerikanische Attacke begann auf dem Wirtschaftsgipfel von Houston im Juli diesen Jahres. Auf einer Pressekonferenz vor mehreren hundert Journalisten droschen US- Handelsbeauftragte Carla Hills und Landwirtschaftsminister Clayton Yeutter entgegen aller diplomatischen Anstandsregeln eine Stunde lang auf die Länder der Europäischen Gemeinschaft (EG) ein. Deren destruktive Haltung bei den Verhandlungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens Gatt (General Agreement on Tariffs and Trade) sei unmöglich. Die Agrarsubventionen der EG seien „stratosphärisch“ wettbewerbsverzerrend und gehörten damit abgeschafft.

Mit ihrer sturen Haltung in den Agrarfragen drohten die Europäer, die große historische Chance einer Liberalisierung des Weltmarktes zum Scheitern zu bringen. „Wow“, sagten die amerikanischen Journalisten, begeistert ob der Brutalo-Kritik an der subventionsgierigen Verstocktheit der EG. „Das kann ja noch heiter werden“, vermuteten die europäischen Beobachter und sollten Recht behalten.

Drei Monate später hat die politische Offensive der Bush-Administration gegen die subventionsabhängigen Westeuropäer keineswegs nachgelassen. Seit jener Juli-Attacke befinden sich die EG-Agrarminister und ihre letztendlich entscheidenden Kollegen im Wirtschaftsressort in der Defensive — und im völligen Durcheinander.

Fristgemäß hatte die amerikanische Seite ihre Vorschläge zur Beendigung der vor vier Jahren begonnenen „Uruguay-Runde“ zur Gatt-Reform am vergangenen Montag vorgelegt: Um 90 Prozent sollen die Subventionen für Agrarexporte in den nächsten zehn Jahren gesenkt werden. Handelsverzerrende interne Subventionen sollen um 75 Prozent reduziert werden. Und die sogenannten „nicht-tarifären Handelshemmnisse“ für Importe sollen zunächst in international vergleichbare Zölle verwandelt und dann ebenfalls über das kommende Jahrzehnt um 75 Prozent abgebaut werden. Das, so gaben die US-Unterhändler in Genf zu erkennen, sei ein großzügiges Angebot. Bis vor kurzem hatte man noch den Totalabbau aller staatlichen Hilfeleistungen im Agrarsektor gefordert.

Bauernsterben in Europa kein Thema

Die EG-Länder haben sich nach internen Streitereien dagegen kaum zu einem Angebot zusammenraufen können, das eine Senkung der Exportsubventionen um gerade mal 30 Prozent vorsieht. Wie die unterschiedlichen Ausgangspunkte bis zum letzten Verhandlungstermin in der ersten Dezemberwoche in Brüssel in Einklang gebracht werden sollen, scheint in Washington und Brüssel niemand so recht zu wissen.

Dennoch ziehen es die US-Unterhändler vor, weiterhin zu klotzen. Denn in den USA gibt es kaum kritische Stimmen, die Verständnis zeigen würden für die politischen und sozialen Folgen eines massenhaften Bauernsterbens in Europa. Im Gegenteil, der US-Kongreß steht den ausländischen Agrarsubventionen noch viel unversöhnlicher gegenüber als Frau Hills. Die Medien geben nur wieder, was ihnen aus deren Amt zugeflüstert wird; und auch den wirtschaftspolitischen „think tanks“ (einige der europafeindlichsten unter ihnen werden übrigens vom deutschen Marschall Fund finanziert) gehen die Exportchancen der US-Wirtschaft über alles. Lieber überhaupt kein Deal als ein schlechtes Gatt-Abkommen, lautet die Parole.

Und in der Tat zweifeln immer mehr Gatt-Auguren, ob die Agrarfrage und die darüber hinaus zu lösenden Probleme bei der Liberalisierung des Welttextilhandels und der Mitaufnahme der Dienstleistungen in das Gatt-Abkommen bis Anfang Dezember rein technisch überhaupt noch zu bewältigen sind.

Klar ist nur, was für die USA auf dem Spiel steht: „Die wichtigsten Handelsverhandlungen, die dieses Land jemals geführt hat“, so Carla Hills. Wenn sich die Kontrahenten in Washington und Brüssel nicht bald auf einen für beide Seiten akzeptablen Abbau des jährlich 250 Milliarden Dollar (385 Milliarden DM) teuren Agrarprotektionismus einigen können, dann wird der vollständig liberalisierte Welthandel bis zur Jahrtausendwende nur ein Wunschtraum der Freihandelsideologen bleiben. Ein erfolgreicher Abschluß der Uruguay-Runde, rechnete eine amerikanische Consulting-Firma aus, würde der Weltökonomie eine Injektion verpassen, die den Brutto-Output der US-Wirtschaft bis zum Ende des Jahrzehnts um fünf Prozent erhöhen würde — was immerhin zusätzlichen 300 Milliarden Dollar entspräche.

Agrarstreit verdeckt US-Protektionismus

Hinter dem knallharten Auftreten der US-Unterhändler in Genf und Brüssel steht allerdings ein großer Bluff. In den USA wie in Europa zweifeln viele daran, ob die Bush- Administration die von Frau Hills auf den Tisch gelegten Vorschläge zum Subventionsabbau daheim überhaupt wird durchsetzen können. Denn auch in den USA fröhnt Uncle Sam mit Hunderten von Importbeschränkungen vom Rindfleisch bis zu den Peanuts dem Protektionismus und versorgt so die Farmer mit der Hälfte ihres Einkommens. Der vorgeschlagene Subventionsabbau von 75 Prozent würde in den USA eine Bauerngemeinde treffen, deren normaler Schrumpfungsprozeß von den Auswirkungen der Golfkrise — Benzinpreiserhöhung und Getreideembargo gegenüber dem Irak — jetzt noch beschleunigt wird. Ein Sturm der Entrüstung sei unter den hiesigen Farmern nur deswegen ausgeblieben, meint der Agrarexperte Mark Richie von der Universität Minneapolis, „weil hier niemand die Gatt- Vorschläge der USA wirklich ernst nimmt“. Die US-Bauern haben derzeit ganz andere Sorgen, als sich über die US-Verhandlungsstrategie beim Gatt-Abkommen aufzuregen, dessen Abschluß noch in den Sternen steht.

So gelingt es dem Amt der Handelsbeauftragten derzeit noch, ihre Politik ganz im Interesse des großen Agro-Business weiterzuführen, auf deren Mist die Genfer Vorschläge gewachsen sind. Die Agro-Lobby, die es sich unter Ronald Reagan in der US-Administration bequem gemacht hatte, zielte bisher auf ein künstliches Niedrighalten der US- Agrarpreise. Aufgrund der dominierenden Position der USA auf den internationalen Agrarmärkten ließen sich damit auch die Weltmarktpreise senken, was wiederum die EG aus Wettbewerbsgründen zu noch höheren Subventionen für ihre Landwirte trieb.

Statt jetzt ein Scheingefecht über die Prozentpunkte beim Abbau dieser Subventionen zu führen, so Mark Richie, solle man lieber auf dem Einhalten der bestehenden Gatt-Regeln gegen das Dumping bestehen, die den Export unterhalb der Produktionskosten bereits untersagen.

Doch solange der Streit über den Agrarsektor weitergeht, bleiben die USA weitgehend von Kritik verschont. Prekär wird es für die Freihandels-Domina der Bush-Administration auch, wenn es an die bisher überdeckten Restprobleme des Gatt- Abkommens geht. Denn während Frau Hills Anfang des Monats in Europa den freien Markt predigte, stimmte daheim der Kongreß für zusätzliche Handelshemmnisse gegen den Textilimport. Bis Mitte nächsten Jahres wird der Textilsektor nämlich noch von dem sogenannten „Multifaserabkommen“ (MFA) geregelt.

Vor allem unter den Entwicklungsländern sorgte der erneute Versuch der US-Textilindustrie, mit zusätzlichen Importrestriktionen heimische Arbeitsplätze (und Profite) zu retten, für Alarm — waren sie doch von den Industrieländern mit dem Versprechen eines liberalisierten Welttextilmarktes überhaupt nur an den Gatt-Verhandlungstisch gelockt worden. Diese Zölle verursachen in den Entwicklungsländern nicht nur hohe Exportausfälle, sie erhöhen auch für die US-Familie die Kleiderkosten um 250 Dollar im Jahr, was auf eine fünfprozentige Zusatzsteuer für Amerikas Arme hinausläuft.

Zwar legte Präsident Bush in der letzten Woche gegen das Textilgesetz erfolgreich sein Veto ein, doch der nur knapp gescheiterte Versuch des Kongresses, dieses Veto mit einer Zweidrittelmehrheit zu überstimmen, reichte der Textilindustrie als Signal an die Bush-Administration aus: Schon eine einfache Mehrheit würde im Frühjahr dazu reichen, die Behandlung des Gatt-Abkommens aus dem sogenannten „Schnellverfahren“ des Kongresses herauszunehmen und damit seine Ratifikation erheblich zu erschweren, wenn nicht gar zu verhindern.

Wenn die Europäer auf dem Agrarsektor nicht kompromißbereit sind und die Amerikaner ihr Versprechen einer Öffnung des Textilsektors nicht einhalten (können), so haben Verhandlungsführer der Entwicklungsländer angedroht, könnten ihre Delegationen auf einem für November geplanten Treffen den Rückzug von den Gatt-Verhandlungen beschließen. Für sie gibt es in einem solchen Falle in Brüssel wirklich nichts mehr zu holen.

USA blockiert Gats-Unterabkommen

Frau Hills Husarenritt in den total befreiten Weltmarkt findet ebenfalls ohne Rückendeckung der US-amerikanischen Reedereien, der Luftfahrt- und Telekommunikationsindustrien statt. Nach sorgfältigem Studium der Vorschläge zur Mitaufnahme des Dienstleistungssektors in das Gatt-Abkommen sind die Bosse der führenden Unternehmen aus diesen Sektoren zu dem Ergebnis gekommen, daß das geplante zusätzliche Gats-Unterabkommen (General Agreement on Trade and Services) nicht in ihrem Sinne sein kann. Die Schiffahrt- und Luftfahrtindustrien behaupten, sie dürften nicht der internationalen Regulierung ausgesetzt werden, weil sie im Kriegsfall (siehe Golfkonflikt) von der US-Regierung kontrolliert und für die nationale Sicherheit eingesetzt würden. Und der Telecom-Riese AT&T gab der Handelsbeauftragten zu bedenken, daß das die Mitaufnahme „grundsätzlicher Telefondienste“ in das Gats-Abkommen die Wettbewerbsposition der US-Telecom-Unternehmen gegenüber den europäischen Monopolen verschlechtert.

Am Donnerstag war es dann soweit: Auf Druck der heimischen Industrie, vor allem von AT&T, blockierten die USA die Gats-Verhandlungen in letzter Minute und verlangten, daß daß ihre Telekcom-Unternehmen vom Meistbegünstigungsprinzip ausgenommen werden. Behalten die USA diese Position bei, dürften die Gats-Verhandlungen scheitern.

Ob der „Alles oder Nichts“-Ansatz der Bush-Administration in Brüssel bis Anfang Dezember Erfolg haben wird, ist also zu bezweifeln. Entweder lassen sich die USA zu einer Herausnahme wichtiger Sektoren wie Textil und Schiffahrt aus dem Gatt-Akommen hinreißen — und riskieren damit den Abgang der Entwicklungsländer. Oder sie lassen sich im Agrar- und Dienstleistungssektor auf Kompromisse ein, deren politische Durchsetzung daheim — nicht zuletzt aufgrund der geweckten Erwartungen — ungewiß ist. Denn wenn sich zu den grundsätzlichen Gatt-Gegnern in der Stahl- und Autoindustrie noch die Luft- und Schiffahrts-, die Textil und Farmindustrien hinzugesellen, dann dürfte auch der politische Druck der Bush- Administration eine Ratifikation des verhandelten Gatt-Abkommens nicht mehr erzwingen können. Dann wird der große Bluff der US-Handelsbeauftragten mitsamt dem Gatt- Abkommen in sich zusammenfallen.