„Erhöre das Gebet der Tochter Asiens!“

Pakistanischer Wahlkampf: Wahlschlager besingen die Unschuld Benazir Bhuttos  ■ Aus Pakistan Simone Lenz

„Allah, der Allmächtige, bitte erhöre das Gebet der armen Tochter Asiens, die verwaist und von einer Verschwörung ihrer Feinde umgeben ist und auf deine Gerechtigt wartet“ — soweit nur die ersten Zeilen, unter denen die betende Benazir Bhutto ihre Hände auf dem Wahlplakat der Pakistanischen Volkspartei (PPP) zum Himmel erhebt. Und der Wahlschlager, mit dem die am 6. August des Amtes enthobene Premierministerin durch ihre angestammten Wahlkreise zieht, besingt ihre Unschuld. In Lyari, einem rußgeschwärztem Slum im Zentrum der Hafenstadt Karachi, der mit circa einer Million Menschen ein Achtel der Metropolenbewohner beherbergt, hätte eigentlich Zadari zur Wahlveranstaltung antreten sollen. Doch am Vorabend war der Ehemann von Benazir Bhutto von der Crime Investigation Agency (CIA) festgesetzt worden. Er soll bis zum 23. Oktober, Vortag der Wahlen, in Haft bleiben. Er wurde unter anderem beschuldigt, die Entführung eines in London ansässigen pakistanischen Geschäftsmannes, seine Folter und Freilassung gegen üppiges Lösegeld, veranlaßt zu haben. Benazir Bhutto beteuert hingegen, daß die Zeugen der Anklage zu Falschaussagen gezwungen worden seien, wie dies schon im Prozeß gegen ihren 1979 von General Zia ul Haq erhängten Vater Zulfikar Ali Bhutto von amerikanischen Beobachtern konstatiert wurde.

Wohlorganisiert strömen nun die Menschen auf den mit PPP-Fahnen und Glühbirnen geschmückten Platz, um nach tosenden Jubelbekundungen für die Tochter ihres Märtyrers Bhutto ebenso diszipliniert wieder in die verwinkelten Gassen zu verschwinden. 25.000 Arbeitsplätze soll die Bhuttoregierung für die hier in Lyari ansässigen Arbeiterfamilien aus dem Sindh und Beluchistan geschaffen haben und einen Fond von acht Millionen Rupies für die Entwicklung dieses Stadtteils eingerichtet haben. Das ist weniger als eine Mark pro Kopf. Und selbst dieser Tropfen auf den heißen Sand sei noch von der in Karachi dominierenden Mohajir Partei der indischen Zuwanderer abgefangen worden. So jedenfalls erklären die Parteiarbeiter der PPP die Tatsache, daß offenbar keiner der von Bhutto in Aussicht gestellten Entwicklungspläne in Angriff genommen werden konnte. Immerhin habe die Bhutto-Regierung all jene wieder eingstellt, die unter Diktator Zia wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten entlassen oder politisch verfolgt wurden. Und so bekunden die Menschen von Lyari ihrer Motharma, ihrer Herzdame, trotz aller Verdächtigungen gegen Asif Zadari ihre Zuneigung.

1988 als Tochter gewählt, 1990 als Frau zu jung?

Ganz ungeteilt war die Zuneigung zu Benazir Bhutto in dem islamischen Staat allerdings nie. Vor allem in der Rolle der Tochter ihres bis heute weithin verehrten Vaters, der dem Land immerhin eine fünfjährige und damit längste Phase der Demokratie in der Geschichte des Landes beschert hatte, gewann Benazir Bhutto die Wahlen von 1988. Und in ihrer nur zwanzig Monate währenden Amtszeit konnte sie mit der Geburt einer Tochter auch das Mutterimage nochmals bekräftigen. Dabei war sie gerade erst aus dem Kindbett in das Amt der Premierministerin gestiegen. Und zu aller Erstaunen soll die vitale Politikerin schon wieder schwanger sein. Zadari ist eben ein Gauner, erklärt man sich diese für nicht mehr ganz so glücklich gehaltenen Umstände.

Mit ihren 37 Jahren ist Benazir Bhutto zu jung, um ein Land wie Pakistan zu regieren, heißt es vielfach aus Männermund, während Frauen solch politisches Urteil mit einem skeptischen Blick begleiten. Ob das Verhältnis zu Benazir ungetrübter wäre, wenn sie ein Sohn und nicht eine Tochter der Bhuttos wäre? Schwierige Frage, gesteht der beherzte PPP-Anhänger, der Geschichte und Programm der 1969 von Bhutto begründeten Partei aus dem Effeff herunterzubeten weiß.

Auch die sich im Rhythmus der Partei-Hymnen wiegende Jubelgemeinde ist geteilt — in einen Männer- und einen Frauentrakt, getrennt durch eine Mauer, die hier noch längst nicht fallen will. Die mit einem breiten Schal, dem Tschador oder einem Mantelkleid der Burqa bedeckten Frauen stehen unmittelbar vor der Rednertribüne und müssen ihren Blick weit hinauf zu ihrem weiblichen Leitbild richten, wie sich Benazir Bhutto für die Frauen der islamischen Welt gerne selbst versteht. Aus weiterer Entfernung — aber wie aus gleicher Höhe — fällt der Blick der Männer auf die redegewandte Tochter des Ostens. In Larkana, dem Heimatort der Bhuttos im Zentrum der südlichen Sindhprovinz, wo Frauen nur selten unverhüllt, wenn überhaupt, in den Straßen zu finden sind, drängt sich die dampfende Masse der Männer gar bis hinauf zur Rednertribüne. Immer wieder werden kleine Jungen auf die Bühne gereicht.

Aufrechte Patrioten und staatsfeindliche Elemente

Der Oberste Gerichtshof in Lahore hat kürzlich die Auflösung der Nationalversammlung und der Provinzparlamente und die Entlassung der Premierministerin für rechtmäßig erklärt. Das bedeutet Aufwind für ihren stärksten Gegner, Nawaz Sharif, der in seiner Hausprovinz, im bevölkerungsreichen Punjab verkündet, daß der 24. Oktober zu einem Siegestag der Islamic Jamhoori Ittehad wird, die religiös-konservative Partei, der er vorsteht.

Die Wahlen werden die Entscheidung zwischen aufrechten Patrioten und staatsfeindlichen Elementen herbeiführen, verkündet der Verlierer von 1988 heute wieder vollmundig. Seine Partei stellt auch den amtierenden Übergangspremier Mustafa Jatoi, der unter Ali Bhutto selbst noch zur PPP zählte, sich aber beizeiten auf die Seite des gläubigen Generals Zia gerettet hatte. In ihrem Manifest tritt die IJI für eine weitere Islamisierung der Gesellschaft ein, für kostengünstigen Rechtsschutz für alle Bevölkerungsteile — nach ihrer Interpretation der Scharia — und für die Realisierung erreichbare ökonomische Ziele..., so der Wortlaut.

Die Unterstützung des Befreiungskampfes des palästinensischen Volkes steht ebenso auf ihrer Agenda wie die Etablierung einer islamischen Regierung in Kabul und die Solidarität für das Selbstbestimmungsrecht der Kaschmiris. Dieses Recht habe Benazir Bhutto beim Besuch ihres indischen Amtskollegen im Dezember 1988 leichtfertig, mit einem Lächeln, preisgegeben.

Bhuttos Außenpolitik unter Beschuß

Die moderate Außenpolitik der jungen Premierministerin stieß bei ihren politischen Gegnern auf wenig Verständnis. Die unheilige Allianz zwischen Militärs und Mullahs setzt alles daran, das Bild außenpolitischer Bedrohung aufrechtzuerhalten. Daran hängt der US-Dollarsegen, der, trotz aller Rethorik um das Atomwaffenprogramm der Pakistaner, dem strategisch wichtigen Verbündeten alle Jahre wieder bereitgestellt wurde. In diesem Jahr verweigerte der amerikanische Kongress jedoch die Fortführung der Leistungen unter Hinweis auf eben dieses Nuklearprogramm.

Heute haben Washington und Moskau einen gemeinsamen Feind, den Vormarsch des Islam. Wieder werden die Mullahs im Land der Reinen davon profitieren, denn die pakistanische Armee, auf deren Seite sie nun einmal stehen, gilt als wichtige Einsatztruppe gegen den Irak. So mag die amerikanische Drohung einer Aussetzung der Hilfsgelder, wenn es nicht zur Abhaltung freier und fairer Wahlen kommen sollte, und die Pakistaner noch immer eine islamische Atombombe im Schilde führen, zwar gut, aber keineswegs ernst gemeint sein. Die pakistanischen Medien jedenfalls legen es Benazir Bhutto zur Last, daß die USA mit der Hilfekürzung drohen, wo doch gerade jetzt durch den Anstieg des Ölpreis die pakistanische Ökonomie in arge Bedrängnis gerate.